München ; Bertelsmann ; 2002 ; 543 Seiten ; ISBN 3-570-00369-8
Nach seinem einerseits in beeindruckenden und fesselnden, andererseits aber auch in schaurig-traurigen Bildern erzählendes Buch über den Untergang der 6. Armee in Stalingrad, ist dem britischen Militärhistoriker Beevor mit seinem neuesten Werk Berlin - Das Ende 1945 erneut ein großes und in seinem Detailreichtum überzeugendes Epos gelungen - allerdings gerade aufgrund seiner Realität nicht für schwache Nerven gedacht.
Als Beevor in den Dokumentenrecherchen zum Buch Stalingrad die Aussage „So wird euer Berlin einmal aussehen!“ eines die Deutschen durch die Trümmern der Stadt jagenden russischen Oberst fand, stand die Thematik seines folgenden Buches fest (siehe Vorwort) und zieht so auch immer wieder Parallelen der beiden Kesselschlachten (wobei man im Falle Berlins erst gegen Ende von einem Kessel sprechen kann).
Der einerseits permanente Drang nach Überleben in den Trümmern, die mit der Geschäftsmäßigkeit in einem Ameisenhaufen zu vergleichen ist, und andererseits die Trauer, das Selbstmitleid über das eigene Schicksal, sind so einrucksvoll und authentisch dargestellt, als würde man glauben „in einem schlechten Film“ zu sitzen. Bei Szenen wie das ständige Leben mit Ratten, Seuchen, der Umstand, sich nicht waschen zu können, brutale Vergewaltigungen und so weiter in einer jetzt so blühenden und damals dem Untergang geweihten Stadt Berlin, lässt es einem manchmal kalt den Rücken herunterlaufen.
Eindruckvoll sind auch die in diesem schaurigen Bild geschilderten menschlichen Situationen, zum Beispiel als eine norwegische Krankenschwester ihren verwundeten Geliebten, einen Soldaten der Waffen-SS, wiedersieht - bis uns dann dessen Tod doch wieder Kälte spüren lässt. Weitere solcher Aspekte reihen sich an, wobei Beevor, ähnlich wie schon bei dem Buch Stalingrad, der Zugang zu sowjetischen Archiven und Augenzeugen, zugute kommt.
Der eigentliche Höhepunkt des Meisterwerkes - manchen mögen seine detailgetreue Angaben über die Truppenbewegungen zugunsten des empfundenen Sinkens der Dramaturgie vielleicht als weniger gelungen bewerten - sind jedoch meines Erachtens seine grandiosen, mit „militärischer Präzision“ beschriebenen Schilderungen über die zusammenbrechende Ostfront, der Rankünen Stalins sowie der völlig weltfremden Wahrnehmung der Situation der NS-Diktatur und ihren ständig noch widersinniger werdenden mörderischen Befehlen - alles in dem wahnsinnigen Glauben, doch noch den „Endsieg“ herbeiführen zu können.
So wirkt die Einnahme Berlins wie ein Wettrennen um Berlin, einerseits zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion, andererseits innerhalb der russischen Armee zwischen der Ersten Weißrussischen Front Schukows, der Ersten Ukrainischen Front Konews und der Zweiten Weißrussischen Front Rokossowskis. Insbesondere die Besessenheit Schukows, als Befreier Stalingrads auch als erster an Stalin die Einnahme Berlins zu übermitteln, und damit die durch diese Besessenheit bedingten taktischen Fehler, die Zehntausenden von russischen Soldaten insbesondere beim Nehmen der Seelower Höhen das Leen kostete, ist beeindruckend dargestellt.
Fazit: Überzeugend gelingt der historische Spagat, einerseits zwischen dem größten Militäraufmarsch der Kriegsgeschichte am Oderbruch - andererseits die gespenstische, geradezu autistische Stimmung im Führerbunker in der Hitler sein Ende mit dem „seines“ Volkes verband.
Andreas Pickel
© 2003 Andreas Pickel, Harald Kloth