Winston Churchill ist sicherlich einer der ambivalentesten Staatsmänner, den die Geschichte je erlebt hat. Einerseits der Held des 2. Weltkrieges, der durch seine Entschlossenheit und Widerstandskraft dem Traum der Nationalsozialisten vom tausendjährigen Reich jäh ein Ende setzte, andererseits der Verantwortliche für den britischen Bombenterror in Deutschland und ein nicht immer mit glücklicher Hand agierender und beliebter Politiker. Umso bemerkenswerter, dass sich außer Sebastian Haffner vor fast 40 Jahren kein deutschsprachiger Historiker der auch für die deutsche Geschichte so richtunggebenden Person bibliographisch zu nähern wagte. Nun legt Peter Alter mit dem Taschenbuch Winston Churchill endlich eine auf dem neuesten Forschungsstand fußende Bibliographie vor.
Am 30. November 1874 wurde Winston Leonard Spencer Churchill im Schloss Blenheim, dem Stammsitz der Herzöge von Marlborough geboren, erst über 90 Jahre später, am 24. Januar 1965, endete sein ruhmreiches Leben.
Nach Abschluss seiner für einen Adligen normalen Schulausbildung entdeckte Winston Churchill zunächst seine Affinität zum Militär und diente unter anderem in Indien, auf Kuba, im Sudan oder in Südafrika. Schon früh entdeckte er dabei sein schriftstellerisches Talent, war im Militär als viel beachteter Kriegsberichterstatter tätig und legte bereits 1898, also im Alter von nicht einmal 24 Jahren, mit einem Buch über den Malakand-Feldzug seinen ersten Bestseller vor. In kürzester Zeit folgten weitere erfolgreiche Bücher und da seine Artikel für renommierte Zeitungen über seine Kriegserfahrungen mithalfen, seinen nicht gerade billigen Lebensstil zu finanzieren, spielte er kurz mit dem Gedanken, sich ganz der Schreiberei zu widmen. Schließlich verwarf er den Gedanken und da er auch der Unterordnung und dem schlecht bezahltem Leben beim Militär nicht länger Positives abgewinnen konnte, drängte er schließlich mit aller Macht in die Politik. Nachdem er noch ein Jahr vorher vergeblich um einen Sitz im Unterhaus kandidierte, gelang im schließlich im Oktober 1900 als jüngster Abgeordnete der Einzug ins Parlament. Erst über 60 Jahre später, am 28. Juli 1964, sollte er es wieder verlassen. Bereits 1906 wurden ihm die Aufgaben eines stellvertretenden Kolonialministers übertragen, zwei Jahre später war er bereits Wirtschaftsminister. Bis 1929 fungierte Churchill als Minister in fast allen Ressorts, nur zum Außenminister hat er es nie gebracht. 1904 wechselte er von der konservativen Partei zu Labour - und übrigens 1924 wieder zurück. Am 12. September 1908 heiratet er Clementine Hozier, die mit ihm 57 Jahre durch alle Höhen und Tiefen seines Lebens ging.
Als Inhaber des prestigeträchtigen Marineministeriums und somit als Erster Lord seiner Admiralität erlebte er dann im Ersten Weltkrieg in der verlustreichen Schlacht von Gallipoli sein persönliches Waterloo ausgerechnet auf dem Gebiet, auf dem er sich allen Überlegen wähnte: der militärischen Taktik und Strategie. Das Bewusstsein, für cirka 50.000 tote britische, französische, australischen und neuseeländische Soldaten zumindest mitverantwortlich zu sein ließen ihn schließlich am 16. November 1915 zurücktreten und als Bataillonskommandeur wieder in den aktiven militärischen Dienst eintreten!
Knapp zwei Jahre später, im Juli 1917, trat er als Rüstungsminister im Kabinett seines Freundes Lloyd George wieder in das politische Leben. Gerade nun in den 20er Jahren zeigte Churchill sein begnadetes Talent für Reden und in der Inszenierung von Auftritten dem Autor zur Folge war er der erste, der Politik mit dem Ziele des Stimmenfangs auch als Show empfand. 1929 trat er wieder, jetzt in der Funktion des Finanzministers, zurück und tauchte zunächst politisch ab 10 Jahre in der Wüste begannen. Churchill widmete sich nun dem Schreiben von Briefen, Zeitungsartikeln und Büchern, fast alle wurden Bestseller. Alle seine zeitgeschichtlichen Werken beruhten meist auf Churchills persönlichen Erfahrungen, zumindest seiner persönlichen Sicht der Dinge, so dass er sich durchgehend subjektiv der Geschichte näherte. Gerade deswegen wurde er auch zu einem der bekanntesten und bestbezahlten Journalisten seiner Zeit. Auch für seine Leidenschaft, dem Malen fand er nun Zeit, um, wie er selbst sagte, die Phase tiefer Depression (black dog) zu überwinden.
Am 3. September 1939 kam dann als neuer alter Marineminister endlich wieder die Zeit, Geschichte nicht nur auf das Papier zu bringen, sondern auch wieder Geschichte zu machen der gerade begonnene Krieg bot dazu den idealen Anlass. Als die Rufe nach einer starken Hand immer lauter wurden, ernannte man Churchill am 10. Mai 1940 im zarten Alter von 65 Jahren zum Premierminister. Auch wenn Churchills Karriere bis zu diesem Zeitpunkt alles andere als geradlinig verlief. Jetzt war er der richtige Mann am richtigen Platz. Schnell gelang es ihm, in seiner überzeugenden und zupackenden Art sowie mit den richtigen Worten den Widerstandswillen des mit dem Rücken an der Wand stehenden britischen Volkes gegen die nationalsozialistische Eroberungspolitik zu stärken, ein Wille, der sich bald auch auf das europäische Festland ausbreiten sollte. Unermüdlich den Kontakt zur Bevölkerung suchend wurden, so der Autor, insbesondere während "The Blitz", der Luftschlacht um England (Battle of Britain) vom 13. August 1940 bis Mai 1941, sein Victory-Zeichen und seine Havanna-Zigarren zum Symbol für den Widerstand. Großbritannien wuchs als geschlossene Einheit hinter ihrem Premier zusammen. Bereits 1942 autorisierte Churchill das Bombardement deutscher Großstädte mit seiner Bomberflotte. Lübeck war das erste Opfer, Köln, Hamburg und weitere Städte wurden in Schutt und Asche gelegt trauriger Höhepunkt war schließlich die Bombardierung Dresdens am 13./14. Februar 1945, also zu einem Zeitpunkt, als der Krieg längst entschieden war.
Bereits bei der Konferenz von Teheran Ende 1943 erkannte Churchill, dass die Zukunft der Welt nur noch zwischen den Weltmächten USA und Sowjetunion entschieden werden wird. Das Commonwealth fiel in die zweite Reihe zurück. Auch gesundheitlich war die Konferenz ein Wendepunkt in Churchills Leben, sah man ihm nun die ungeheurere seelische und physische Anspannung eines Kriegspremiers zunehmend an. Die Reisestrapazen (Churchill legte allein in den ersten vier Kriegsjahren fast 180.000 Kilometer an Reisen zurück, verbrachte 33 Tage auf See verbrachte und 14 Tage in der Luft!) zollten ihren Tribut. Mit Unterzeichung der Kapitulationsurkunde durch Generaloberst Jodl im Hauptquartier von Dwight D. Eisenhower in Reims am 8. Mai 1945 erreichte die Macht und Popularität Churchills ihren Höhepunkt. Das jubelnde Volk lag ihm zu Füssen.
Doch nur zwei Monate später war die Euphorie jäh beendet. Die Konservativen verloren die Wahlen zum Unterhaus und Churchill erklärte am 26. Juli seinen Rücktritt, blieb jedoch Führer der konservativen Oppositionspartei. Fortan machte er sich vor allem als exzellenter Redner weltweit einen Ruf. Im Rahmen eines Vortrages 1946 in den USA implementierte er den Begriff Eiserner Vorhang, den Inbegriff für die Teilung Europas in Ost und West. Sein Appell, dass nur durch eine Einbindung der Sowjetunion in Westeuropa eine immerwährende Spaltung zu verhindern sei, fand - leider nur wenige Befürworter. 1948 skizziert er sein berühmtes 3-Kreise-Modell seine Zielvorstellung für die Nachkriegsordnung: Drei sich überscheidende Kreise stellen das Britische Reich, Kontinentaleuropa und die Vereinigten Staaten dar. Im Schnittpunkt der drei Kreise lag Großbritannien, seiner Ansicht nach quasi im Zentrum der Welt diese Vision sollte bis heute Wunschdenken bleiben. 1951 kam es zu Neuwahlen und Churchill wurde nun 77jährig nochmals an die Hebel der Macht gehievt. 1953 erhielt er den Nobelpreis. Als er erfuhr, dass es sich nur um den Literatur- und nicht den Friedensnobelpreis handelte, ließ er sich bei der Preisverleihung durch seine Frau vertreten.
Schon früh hat er sich für die Aussöhnung Frankreichs und Deutschlands sowie für ein vereinigtes Europa (allerdings ohne Großbritannien) ausgesprochen und dafür 1956 den Aachener Karlspreis bekommen (mit dessen Verleihung das Buch beginnt). 1955 tritt er schließlich als Premierminister zurück, blieb aber noch bis ein halbes Jahr vor seinem Tod Abgeordneter im Parlament. Am 24. Januar 1965 verstarb Churchill in London.
Die Biographie beeindruckt vor allem aufgrund der detailgenauen, fast liebenswerten Beschreibung des Charakters Churchills und der ihn prägenden Wesensmerkmale. Churchill vereinigte eigentlich mehrere Personen, war er doch Kriegsherr, Staatsmann, Politiker, erfolgreicher Autor, ein exzellenter Landschaftsmaler und Reiseliebhaber in einem. Nur für eines entwickelte er keine auch nur annähernde Leidenschaft die Musik. Um diese Merkmale in allen Facetten ausreichend zu betrachten, legt Peter Alter, entgegen den bisher erschienenen Biografien, auch nicht den Schwerpunkt seines Buches nur auf die Zeit des 2. Weltkrieges, sondern widmet sich allen Lebensabschnitten mit der gleichen Hingabe. Oftmals lässt er dabei Churchill sich selbst beschreiben. Mit Verwunderung lesen wir, dass der als so tough geltende Kriegsherr auch gerne einmal Tränen vergoss („Ich heule schrecklich viel“, sagte er von sich selbst) eigentlich als eine sentimentale und sensible Person galt. Auch als Premierminister verbrachte er die meisten Vormittage im Bett und erledigte von seinem Schlafzimmer = Besuchs-/Besprechungs-/Arbeitszimmer aus die Regierungsgeschäfte oder diktierte Anekdoten für sein neuestes Buch.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Churchill mit Ehren und Ehrungen überschüttet, wie kein zweiter Staatsmann. Dies zeigt einerseits die Beliebtheit Churchills, aber auch anderseits den Respekt dem man ihm anlässlich seines politischen Wirkens bis weit über die normale Pensionsgrenze hinaus entgegenbrachte. Churchill wird schon als Schüler als Einzelgänger charakterisiert, auch in seinem späteren politischen Leben können sich nur wenige Menschen als seine echten Freunde bezeichnen. Vielleicht gelingt es nur so politisch erfolgreich und vor allem unabhängig zu agieren. Dazu kam natürlich seine unheimliche Energie und Lebenslust, ohne die 60 Jahren Leben in der Politik gar nicht möglich gewesen wären.
Peter Alter gelingt es mit einem außergewöhnlich fesselndem Lesestil die Person Churchill allumfassend und treffend zu beschreiben, ohne dabei die notwendigen welt- und innenpolitischen Zusammenhänge aus dem Auge zu verlieren und das alles auf nur knapp 280 (Taschenbuch-)Seiten, wozu manch anderer Autor vier dicke Bände benötigen würde. In den meist knappen, leicht verständlichen Sätzen kann der Autor eine gewisse Begeisterung für das Leben und den Lebensstil Churchills nicht verheimlichen. Da wo angebracht lässt er es aber auch nicht an der notwendigen Kritik fehlen.
Fazit: Insgesamt ein Buch, welches Zeitgeschichte an einer der Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts lebendig vermittelt.
Andreas Pickel
© 2007 Andreas Pickel, Harald Kloth