Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes
Stuttgart ; Klett-Cotta ; 2017 ; 303 Seiten; ISBN 3-608-94907-0
Spätestens mit der Gründung der AfD und ihren jüngsten Erfolgen bei einigen Landtagswahlen kann man rechte Politik nicht einfach so verharmlosen, wie man es vielleicht noch mit der NPD konnte,
die nur selten und dann auch nur regionalpolitisch in Erscheinung trat. Auch wenn nach derzeitigem Stand die innerparteilichen Querelen in der AfD ein wohl zweistelliges Ergebnis bei der nächsten
Bundestagswahl als eher unwahrscheinlich erscheinen lassen, ist ein stärkeres „Faible“ für rechte Politik in Deutschland nicht mehr zu leugnen. Dass sich dieser Weg in einen verstärkten
Konservatismus schon seit Jahren, ja Jahrzehnten abzeichnet, weist Volker Weiß in seinem neuen, in der Analyse beeindruckenden Buch „Die autoritäre Revolte“ nach. Die Neue Rechte ist prinzipiell
eine sehr alte Rechte, so sein Fazit, entstanden weniger durch revolutionäre Gedanken, sondern vielmehr durch Restrukturierungen und Synergien.
Für den Autor ist die „Neue Rechte“ eine politische Strömung am rechten Rand der politischen Landschaft, die sich bereits in den 70er-Jahren als Versuch einer auch intellektuellen
Wiederbegründung rechten Denkens in Deutschland und darüber hinaus gebildet hat. Dies insbesondere, als die sogenannte alte Rechte, die man gemeinhin mit dem Nationalsozialismus verbindet, am
Ende angekommen war. Enge verbunden mit ihr ist Armin Mohler, ein Schweizer Publizist, Schriftsteller und Journalist, der als Apologet der „Konservativen Revolution“ sowie als einer der Vordenker
der Neuen Rechten gilt. Basierend auf seiner Lehre versuchte man um die Jahrtausendwende die Kräfte durch Zusammenfassung von einer Wochenzeitschrift (Junge Freiheit - JF), einer Denkfabrik
(Institut für Staatspolitik - IFS) einem Verlag (Antaios) und einer Zeitschrift (Sezession) zu bündeln. Gerade unter der ersten rot-grünen Bundesregierung blühte die Neue Rechte auf, ganz nach
dem Motto, aus der Defensive am Aktivsten zu sein. Richtig zum Leben erweckt wurde sie in Deutschland aber erst 2010 durch das Buch „Deutschland schafft sich ab“ durch Thilo Sarazzin.
Gerade die Debatten um Flüchtlinge und Migration gaben der Neuen Rechte den notwendigen Aufschwung und man sollte aufpassen, so Weiss, dass sich dieser Aufschwung nicht normalisiert. Rückgreifend
auf diese Themen wird rechtes Denken unter Rückgriff auf Jahrzehnte alte Theorien im wahrsten Sinne des Wortes wieder populär, ohne sich auf Nationalsozialismus, Judenvernichtung, Zweiter
Weltkrieg zu beziehen. Die Einwanderungswelle und die schweren Problemen bei der Integration von Migranten in die Gesellschaft verhelfen der Neuen Rechte diese historisch entwickelten Ansichten
in der Gesellschaft zu verankern. Und obwohl diese Ansichten als grundlegend „deutsch“ deklariert werden, sind sie im Grunde gegen unser Demokratieverständnis mit dem Ziel der Etablierung eines
autoritär gegliederten Staates. Um generell die Botschaft der Neuen Rechte zu verbreiten werden natürlich auch die neuen Medien extensiv genutzt. Der amerikanische Präsident ist so gesehen für
die konservativen Kreise DAS Beispiel, wenn auch nicht immer im positiven Sinne.
Die „Target Audience“ der Neuen Rechte ist ausdrücklich nicht der Islam, maximal die Präsenz des Islam im europäischen Großraum. Bekämpft wird Einwanderung, die (kultur-)fremde Einflüsse mit sich
bringt. Diese Durchmischung von Kulturen widerspricht der Aufteilung der Neuen Rechte in klar getrennte Kulturräume. Und somit hat der Islam in Europa nichts verloren. Darüber hinaus werden aber
auch die Nachteile der Modernisierung, der Globalisierung wie respektvoller Umgang mit Minderheiten, Liberalismus ganz allgemein, dem „Gender-Wahn“ oder auch sexuelle Selbstbestimmung (überrascht
umso mehr, dass die derzeitige AfD Spitzenkandidatin, Alice Weidel, Homosexuelle ist) bekämpft. Der Kampf gegen den Islam ist Kampf gegen die Migration. In vielerlei Hinsicht ist der Islam sogar
ein Bündnisgenosse im Kampf gegen Dekadenz. Im Sinne von Martin Lichtmesz gehen für die Neuen Rechte die Völker am Liberalismus und nicht am Islam zugrunde. Der eigentliche Gegner wäre somit die
USA (zumindest vor der Ära Trump) mit ihrem Liberalismus und Universalismus.
Äußerst kritisch geht der Autor mit dem auch im Zuge der Pegida-Bewegung genutzten Begriff „Abendland“ um. Obwohl es „DAS Abendland“ weder geographisch noch historisch gibt, wird dieser Begriff
je nach Gutdünken in unterschiedlichster Art und Weise für gewisse Zwecke genutzt, meist als „Ausgrenzungsbegriff, um anti-europäische Stimmung zu machen. In mehreren Kapiteln zerpflückt Weiss so
mit Fakten untermauert die selbsternannten „Verteidiger des Abendlandes“ die mittels einer falschen Auslegung des Begriffs zu manipulieren versuchen. Dies insbesondere auch, da die
Pegida-Hochburg Sachsen ja eigentlich kirchenfern und somit unchristlich ist! Der Begriff ist längst seiner römisch-latinischen Bedeutung entwurzelt und wird für den „Rassenkampf“ für die
gegenseiger Abhängigkeit der Begriffe „Identität“ und „globalen Großraumordnung“ missbraucht. Dies ist auch Identität stiftend und nimmt sogar den russischen „eurasischen Raumtheoretiker“ und
Ultranationalisten Alexander Dugin mit ins Boot.
Höhepunkt der deutschen Neuen Rechte ist sicherlich die AfD, gegründet am 6. Februar 2013 mit dem folgenden Gründungsparteitag am 14. April 2013 in Berlin. Weiß analysiert dabei sehr treffend,
dass die AfD nicht die Neue Rechte sei, sondern diese die AfD bestimme. Über diese Partei kann man nun, ohne gleich in ein gewisses Spektrum abgeschoben zu werden, rechte Politik machen und
einen nicht unerheblichen Teil der Gesellschaft (teils bis zu 20%) für seine (rechten) Ansichten gewinnen und versuchen, diese rechten Vorstellungen als „normaldemokratisch“ zu stilisieren. Den
Aufstieg erklärt Weiß somit weniger mit eigenen parteipolitisch relevanten Richtlinien, sondern durch die Euro- und Flüchtlingskrise sowie Terrorangst, die der Partei in die Hände spielte. Schon
früh begannen innerparteiliche Streitigkeiten, die Partei spaltete sich in eine völkische und nationalliberale Strömung. Je nach dem, welcher Flügel gerade die Oberhoheit hatte, beeinflusste dies
auch die Veränderungen in den Wahlprogrammen, währungs- und wirtschaftspolitische, also „weiche“ Themen oder radikalere Themen wie Islamisierung oder der Verlust der Identität Deutschlands. Mit
der Abwahl Luckes im Juli 2015 war der Kurs der Partei nach rechts festgelegt, in den jüngsten Querelen wird nur noch ausgelotet, wie weit rechts man sich bewegen möchte. Dabei ist die AfD
mittlerweile ein Meister der Methoden der gezielten Provokation. Rechtsnationale Statements oder Reden von Björn Höcke, AfD Fraktionsvorsitzender im Thüringischen Landtag, werden überwiegend
goutiert, nach außen meist noch irgendwie relativiert, aber eine richtige Distanzierung zu nationalsozialistischem Gedankengut findet kaum statt. Für die AfD erstellt der Autor drei Szenarien: 1.
Aufgrund der internen Querelen verschwindet die Partei in der Bedeutungslosigkeit. 2. Die AfD wird eine normale, aber nicht bündnisfähige Partei, getrieben durch Erfolge anderer rechter Parteien
in Europa und 3. durch diverser externen Faktoren wird die AfD die stärkste Partei in Deutschland. Wir wollen mal hoffen, dass Szenario 1 eintritt.
Volker Weiß, u.a. freier Autor für „Die Zeit, beschäftigt sich schon seit Studienzeiten mit der sogenannten „Neuen Rechte“ und gilt dazu mittlerweile als ausgewiesener Fachmann. Seiner
Publikationen wie Kolumnen in diversen Zeitungen und Zeitschriften finden ein großes Echo und sind allseits hoch anerkannt. Dies liegt vor allem daran, dass auch dem Leser, der sich bis dato
weniger mit den Theorien rechter Parteien und Politik beschäftig hat, die Sache verständlich nahe gebracht wird. Logisch nachvollziehbar erklärt er die Weltanschauung und Geschichte der
rechtsautoritären Bewegung bis zur Gegenwart. Er kontert in allem die Argumenten der Neuen Rechte mit deren Mittel, widerlegt angebliche Traditionen, die es nicht gibt und nie gab. Die alte
Regel, die Stärke der Rechten resultiert aus der Schwäche ihrer Gegner, greift aber derzeit auch trotz geringer inhaltlicher Substanz, so der Autor.
Fazit: Weiß schreibt überwiegend ohne Parteinahme, ohne größere Emotionen, sondern vielmehr nüchtern, sehr objektiv und vor allem wenig provokativ. Das macht seine Aussagen authentisch und das Buch so besonders. Das gründlich recherchierte Buch wurde nicht umsonst für den Preis der Leipziger Buchmesse 2017 nominiert.
Andreas Pickel
© 2017 Andreas Pickel, Harald Kloth