Herfried Münkler: Der Dreißigjährige Krieg

Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648

Berlin ; Rowohlt ; 2017 ; 974 Seiten ; ISBN 3-87134-813-9

 

Die Erinnerung vieler Deutschen und das historische Erbe Deutschlands reicht oftmals nur bis zur „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, dem Ersten Weltkrieg, oder maximal noch bis zur Ära des Deutschen Kaiserreichs ab 1871 unter Wilhelm
I. und II. sowie seinem legendären Reichskanzler Bismarck. Dabei wurden wesentliche Weichen des heutigen Deutschlands bereits vor 400 Jahren gelegt, im Dreißigjährigen Krieg und seiner Friedensordnung, dem Westfälischen Frieden. Ein
beeindruckendes Buch zu diesem ersten großen europäischen Krieg hat nun der renommierte und aus Büchern wie „Die neuen Kriege“ oder "Imperien“ bekannte Politikwissenschaftler Herfried Münkler publiziert. Dabei zieht er diskussionswürdige Parallelen und Lehren zu und für die heutigen Konflikte und Kriege wie in Libyen und Syrien.

Der Dreißigjährige Krieg spielte sich im Wesentlichen in vier Phasen ab, die nach den jeweils beteiligten Ländern bzw. Gegnern des kaiserlich-katholischen Lagers benannt werden:

  1. Böhmisch-Pfälzischer Krieg (1618 - 1623)
  2. Niedersächsisch-Dänischer Krieg (1625 – 1629)
  3. Schwedischer Krieg (1630 – 1635)
  4. Schwedisch-Französischer Krieg (1635 – 1648)

Doch trotz seiner gesamteuropäischen Implikationen sowie seiner Dauer und obwohl gerade deshalb seine Auswirkungen noch heute spürbar sind, hat, so Münkler, der Zweite Weltkrieg den Dreißigjährigen Krieg in den Gedanken der Menschen ersetzt. Dies, weil dort in noch größerem Maße Menschen und ihre Umwelt planmäßig vernichtet wurden. Nichtsdestotrotz war der Dreißigjährige Krieg ein überaus komplexer europäischer Krieg, der nicht auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation beschränkt war und auch heute noch mehr Beachtung verdient.

Eine diffuse Motivlage, Konfessionskonflikte, Hegemonialbestrebungen und Besitzansprüche, überwiegend divergierend aber auch gleichlautend, erschweren das Verstehen dieses Krieges. Gerade der Zerfall der Protestantischen Union ab 1621 führte dazu, dass der Protestantismus nur noch mit Hilfe anderer Staaten handlungsfähig blieb. Dies wirkte wie ein Sog für ausländische Kräfte und internationalisierte den Konflikt. Ebenso, wäre der Krieg bis 1624 ein rein „deutscher Krieg“ gewesen, wäre er wohl zu diesem vergleichsweise frühen Zeitpunkt beendet worden, nur die ausländischen Mächte sorgten für seine Fortsetzung. Erneut bestand dann 1629 die große Chance auf Frieden. Doch anstelle von Verständigung und Kompromiss, versuchten die siegreichen Habsburger in den protestantischen Ländern und Kreisen mit dem Erlass des kaiserlichen
Restitutionsedikts vom 6. März 1929 mit aller Macht die Rekatholisierung durchzusetzen. Dies, so Münkler, war der schwerste Fehler des Kaisers, weil damit die errungenen militärischen Siege politisch zunichte gemacht wurden. Anstelle durch einen klugen Friedensschluss politische Stabilität zu fördern, provozierte der Erlass das Eintreten Schwedens unter Gustav Adolf, der es sich zur Aufgabe machte, als „Retter und Beschützer“ das protestantische Bekenntnis in Deutschland zu verteidigen, und später Frankreichs mit Richelieu in den Krieg. Mit dem Kriegseintritt Schwedens war auch die Siegesserie der katholischen Partei und des Kaisers samt seinen Kriegsherren beendet: Wallenstein wurde „in die Wüste geschickt“ und Tilly, der 10 Jahre lang von Sieg zu Sieg geeilt war, verlor mit dem Desaster bei Magdeburg und spätestens mit der verlorenen Schlacht bei Breitenfeld seinen Nimbus als großer Feldherr.

Der Krieg setzte sich stattdessen noch über 15 Jahre fort, erst außerhalb, dann wieder innerhalb Deutschlands. 6 Millionen Tote, fast jeder dritte (sic!) Deutsche, und verwüstete Landschaften waren sein grausames Erbe. Erst als 1641 nach der verlorenen Schlacht von Rocroi Spanien auch als Unterstützung für den Kaiser keine Rolle mehr im Krieg spielen konnte, begann der steinige Weg von fast 7 Jahren bis zum endgültigen Friedensschluss. Steinig und langwierig deshalb, weil die Vielfalt an Gründen und Motiven für den Krieg zu einem ausgeprägten Misstrauen gegenüber dem Friedenswunsch der anderen Partei führte. Um ein derartiges Misstrauen zu überwinden fand sich in der Geschichte oftmals eine Nation, die vermittelte. Aufgrund der vielschichtigen Interessen und der Dauer des Krieges gab es allerdings eine solche Partei zum damaligen Zeitpunkt nicht. So schloss man, so Münkler, im Dezember 1641 mit den Hamburger Präliminarien zunächst ein Abkommen in der festen Absicht, den Krieg vorerst weiterzuführen, da es keinerlei Vereinbarungen über einen Waffenstillstand enthielt. Erst ab 1644 begann man dann ernsthaft um einen Frieden zu ringen. Mindestens vier Jahre dauerte es, bis der sogenannte Westfälische Frieden verhandelt war, der schließlich am 24. Oktober 1648 mit den Verträgen von
Münster und Osnabrück geschlossen wurde.

Münkler nimmt nicht lange Anlauf, sondern kommt nach einer kurzen Ein- und Hinleitung schnell zum Thema. Auch wenn es mit der Reformation ein neues Konfliktpotential gab, war für ihn die Kriegsursache nicht der Konflikt der Konfessionen, sondern es gaben vielmehr politische Gründe, divergierende politische Strategien, unklare Nachfolgeregelungen und Mächtegerangel den Ausschlag. Dies erklärt letztendlich auch die Dauer des Krieges. Es ging um die Frage, wer im Reich das Sagen hat, die Stände oder der Kaiser. Die eurozentrische Lage Deutschlands in Verbindung mit Glaubensfragen und
Souveränitätsproblemen zogen dann auch andere europäische Mächte wie Spanien, Frankeich oder Schweden mit in den Krieg hinein, so dass der Krieg erst nach drei größeren Runden beendet wurde. Der Dreißigjährige Krieg war deshalb sowohl ein innerstaatlicher- wie auch zwischenstaatlicher Krieg, den man, wie später erst wieder ab Mitte des Zweiten Weltkriegs, regional nur schwer eingrenzen kann.

Als paradox bezeichnet es Münkler, dass der „Prager Fenstersturz“ als Auslöser des Dreißigjährigen Krieges ohne Blutvergießen endete, jedoch eines der größten Blutvergießen der Geschichte in Gang setzte. Mit einer unglaublichen
Detailgenauigkeit zeichnet Münkler diese stufenweise Eskalation nach, stellt Verknüpfungen her und verbindet schlüssig die in Sachen Zeit, Raum und Ebenen verschiedensten Ereignisse. Im Dreißigjährigen Krieg verlor der Staat sein Monopol an den Kriegen, auch sind viele Gefechte ohne Kriegserklärung gefochten worden. So gesehen fallen wir laut dem Autor auch heute wieder in dieses Zeitalter zurück. Der Dreißigjährigen Krieg war aber auch der erste richtige Propagandakrieg, einerseits mit karikierenden Flugblättern anderseits durch das „Zuspielen“ von gefälschten Geheimdokumenten an den Gegner, um die wahren Absichten zu verschleiern. Auch wenn die Schlachten nicht im Mittelpunkt des Buches stehen, so sind sie doch mit großem erzählerischen Können jederzeit fesselnd beschrieben. Beeindruckend sind auch Münkler’s Analysen der Kriegswirtschaft, die von Zöllen angefangen bis zur „Ausquetschung“ der Bürger und Bauern reichte: Der Krieg musste bei fast allen Kriegsparteien den Krieg ernähren! Gerade auch ab 1635 war der große Krieg auch ein „Kleinkrieg“, ein Krieg der Söldnerheere gegen die Bauern. Einzig dieser Aspekt kommt in dem Buch etwas zu kurz. Wie standen sie zum, bzw. wie sahen sie den Krieg? wie sah ihr tagtägliches Überleben aus?

Münkler gibt sich auch nicht mit dem Geschehenen und seinem Verlauf ab, sondern fragt und sucht auch immer wieder nach Alternativen, beschäftigt sich intensiv mit Entscheidungen oder auch Nicht-Entscheidungen und ihre mittel- und
langfristigen Konsequenzen. Das „was wäre gewesen, wenn…“ nimmt einen großen Raum in seinen exzellenten Analysen ein. Der Autor erklärt so, ohne im Gegensatz zu vielen seiner Historikerkollegen mit der Weisheit des Rückblicks und unter Nutzung neueren Quellen besserwisserisch zu wirken, wer seine Chancen genutzt oder verpasst hat. Münkler bezeichnet den Dreißigjährigen Krieg als „Übungsplatz für strategisches Denken“ und beispielgebend für die Betrachtung von Erfolg und
Scheitern. Dabei bestimmten die Faktoren die Protagonisten des Krieges, diese waren aber auch selbst Faktoren. Natürlich widmet er sich auch den Kriegsherren: Gustav Adolf, der es exzellent verstand, Politik, Strategie und Taktik miteinander zu verbinden. Tilly der eher glühende Religionskrieger, Wallenstein der politisch motivierte Stratege, der in geopolitisch umfassenden Zusammenhängen dachte und Schwerpunktbildungen erkannte. Viele Soldaten, so Münkler, wechselten angesichts besserer Unterbringung, höherem Sold und der besseren Aussicht auf Belohnung und Karriere von Tilly‘s Heer der Liga zu Wallenstein. Nicht minderer Berühmtheit erlangte der Condottiere (Kriegsunternehmer oder Söldnerführer) Herzog Bernhard, der Nachfolger Wallensteins, den so Münkler die Fähigkeit auszeichnete, Niederlagen nicht als solche hinzunehmen, sondern sofort entschlossen versuchte, die Scharte auszuwetzen. So überraschte er nicht nur einmal seine Gegner.

Da keine der Kriegsparteien es schaffte, den Gegner final zu besiegen, wurde der Krieg schließlich beendet, weil nach 30 Jahren alles und alle ausgebrannt, erschöpft waren. Dazu kam, dass es gelang, die Religion von der Politik zu trennen und man so eine langandauernde Friedensregelung finden konnte. Dies fordert Münkler auch um die heutigen Konflikte zu lösen oder zu beenden. Religion fungiert für ihn als Beschleuniger hegemonialer Konflikte, in denen man dann wiederum mit aller Grausamkeit die religiösen Konflikte ausfechten kann. Der schließlich zwischen dem 15. Mai und 24. Oktober 1648 geschlossene Westfälische Frieden hat den Krieg wieder reguliert und als wesentlichen Bestandteil nur Staaten das Recht auf Krieg zuerkannt. Wegweisend für die nächsten über 250 Jahren wurde mit dem Frieden Europa in Hegemonialzonen
aufgeteilt: Diese Pentarchie bestand zunächst aus Spanien, Frankreich, England, dem Habsburger Reich und Schweden, später wurden Spanien und Schweden durch Preußen und Russland als eine der fünf großen Mächte ersetzt.

Münkler ist Politikwissenschaftler und nicht Historiker. Deshalb liegt der Schwerpunkt des Buches von fast 1.000 Seiten auch nicht auf den üblichen ausführlichen Schlachtenbeschreibungen, sondern er widmet sich auch mit der gebotenen Länge Bereichen wie Kultur und Wirtschaft. Für Münkler fielen die Entscheidungen auch nicht auf den Schlachtfeldern und durch Kriegsherren wie Wallenstein oder Bernhard, sondern an den Kabinettstischen. Ebenso nimmt er interessanterweise den Dreißigjährigen Krieg als Blaupause für die heutigen Konflikte wie im Nahen Osten. Deshalb untersucht er den Krieg ausführlich hinsichtlich seiner Faktoren, Bedingungen und Motiven. Auch widmet er sich der Verwissenschaftlichung des Krieges, also die zentrale Rolle von Mathematikern und Ingenieuren z.B. bei der Einnahme von Festungswerken oder Schussberechnungen. Also insgesamt eine beeindruckend umfassende Betrachtung.

Wer Münkler kennt, den überrascht es nicht, dass er es nicht bei historischen Fakten und Analysen belässt. Gegen Ende zieht der Autor so einen Vergleich zu den heutigen Konflikten insbesondere im Nahen Osten, Syrien und Libyen. Waren für lange Zeit die Staaten wieder die Monopolisten des Krieges, so erleben wir nun wieder eine „unordentliche Form des Krieges“. Wie auch vor 400 Jahren werden wieder Kriege ohne Kriegserklärung geführt. Dies gestaltet die Unterscheidung zwischen Aufstand, Unruhen, Konflikt und Krieg schwierig. Auch heute vermengen sich religiöse mit politischen Beweggründen, lokale Kriegsherren mischen mit, die Zivilbevölkerung ist Oper von Grausamkeiten und jede Vermittlung oder Einmischung von außen ist schwierig. Allerdings macht die heutige „weltweite Gleichzeitigkeit von Informationen“ einiges anders. Die leidende Zivilbevölkerung wird einem via Bildschirm quasi direkt auf dem Teller beim Abendessen präsentiert, während vor 400 Jahren Mord und Plünderung, sofern nicht unmittelbar betroffen, erst lange Zeit später publik wurde. Aber auch trotz medialer Omnipräsenz ihrer Taten hält das Despoten nicht von weiteren Grausamkeiten ab – oder gerade deswegen machen sie weiter. Die Übertragbarkeit des Dreißigjährigen Krieges auf die heutigen Konflikte ist sicherlich diskussionswürdig. Meiner Meinung nach sind derartige Vergleiche rechtens, Schlüsse zu ziehen allerdings fragwürdig.

Fazit: Unabhängig von diesem letzten Teil, Herfried Münkler hat zweifellos ein Standartwerk über den Dreißigjährigen Krieg geschrieben. Es beinhaltet par excellence Kriegsgeschichte in all seinen Facetten inklusive Beschreibungen von Schlachten und diplomatischer Kunst, Wirtschafts-, Kultur-, Kunst-, Literaturgeschichte sowie Charakterstudien über die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Münkler erinnert an einen Krieg, der außer bei Geschichtsinteressierten längst in Vergessenheit geraten ist. Nicht nur wegen der großen zeitlichen Distanz von vier Jahrhunderten aber durch die zunehmende religiöse Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft dient der Krieg nicht mehr als „politisch-kultureller Identitätsmarker“ der Deutschen. Nichtsdestotrotz eine sehr empfehlenswerte Lektüre für lange Sommerabende.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

© 2018 Andreas Pickel, Harald Kloth