Ian McEwan: Maschinen wie ich

Roman

Zürich ; Diogenes ; 2019 ; 404 Seiten ; ISBN 978-3-257-07068-2

Ian McEwan, auf den ich schon vor 17 Jahren mit seinem später auch verfilmten Bestseller „Abbitte“ aufmerksam wurde, ist sicherlich kein Autor, den man in eine gewisse Schublade, in ein Genre stecken kann. Allerdings, gerade in seinen letzten Büchern greift er immer wieder hochaktuelle gesellschaftliche Themen auf, wie Klimaforschung oder auch Kindeswohl, packt diese in eine fiktive Geschichte und verbindet diese mit anschaulichen oft pointierten Lehren. So auch in seinem aktuellen Buch „Maschinen wie ich und Menschen wie ihr“, in dem sich McEwan mit der künstlichen Intelligenz beschäftigt.

Es geht in dem Roman vereinfacht gesagt um die möglichst weitgehende Koexistenz, das Zusammenleben von Mensch und Roboter. Neben einem Roboter ist in dem Roman der eine Hauptakteur Charlie, ein 30-Jähriger unbeschäftigter Anthropologe, der durch eine kleine Erbschaft zu ein wenig Geld gekommen ist und sich mit Börsenhandel über Wasser hält. Die andere Hauptakteurin ist Miranda, seine Obermieterin, 10 Jahre jünger und eben erst Charlie’s Liebespartnerin geworden. Diese bestellen sich nun einen Androiden, der als eine Art „Kindersatz“ für die Beiden fungieren soll. Insgesamt werden 25 Roboter dieses Typs produziert, 13 weibliche Evas und 12 männliche Adams, alle unterschiedlichster Ethnien. Da die Evas (leider wie er zugibt) bereits ausverkauft waren, erwirbt Charlie für 86.000 £ einen Adam. „Künstliche Menschen würden uns anfangs ähnlicher werden, dann genau wie wir und schließlich mehr als wir sein, deshalb können sie uns niemals anöden“, denkt er sich dabei. Neben festgelegten Werkseinstellungen, die in Mimik, Motorik und Denkweise uns Menschen ähneln, programmieren nun Charlie und Miranda den Roboter mit selbst gewählten Charaktereigenschaften, (er-)zeugen und indoktrinieren also das gewünschte Temperament und die Handlungstriebe „ihres“ eigenen Kindes. Daneben ist der Android äußerst wissbegierig, lernt selbständig quasi jede Sekunde in jeder Situation dazu, gerade auch nachts, wenn er am Elektrokabel hängend aufgeladen wird und das Internet durchforstet. Wie ein richtiges Kind entwickelt der Android nach und nach eigene Wünsche und Begierden. Adam übernimmt auch die Börsengeschäfte von Charlie, macht damit Gewinne, kann damit noch mehr riskieren und investieren und verschafft so dem jungen Liebespaar ein nicht unbeträchtliches Einkommen. Nach und nach entwickelt der Roboter so etwas wie (menschliches) Bewusstsein, Moral und scheitert schließlich daran.

Quasi retrofuturistisch spielt die Geschichte in der Vergangenheit, Anfang der 80er Jahre, allerdings mit den technischen Errungenschaften von heute oder sogar noch weiter in der Zukunft. Der Autor will uns damit vor Augen führen, wie durch einige wenige veränderte Rahmenbedingungen alles hätte anders kommen können. Autonom fahrende Autos sind die Regel, Computer ersetzen den Menschen quasi auf fast jeder Arbeitsstelle, Margaret Thatcher, die eiserne Lady, ist Premierministerin, Großbritannien hat den Falkland-Krieg gegen Argentinien unter hohen Verlusten verloren und nicht gewonnen, die Beatles sind wieder zusammen und haben ein neues Album aufgenommen und, ganz wichtig für die Handlung des Buches, das Genie und der Visionär Alan Turing hat 1954 nicht Selbstmord begangen, sondern gilt als DAS Superhirn seiner Zeit. Der sognannte „Turing Test“ begleitet auch den Roman, also die Frage, wann eine Maschine genauso intelligent wie ein Mensch ist, uns also ein gleichgestelltes Denkvermögen entgegenstellen kann und eine Maschine als „menschlich“ eingestuft werden kann. Dies wird auch in dem einen oder anderen Dialog zwischen Charlie und Turing erörtert.

Hohe Aufmerksamkeit erfordert das Buch, typisch für McEwan, durch seine Nebengeschichten, die irgendwie zusammenhängen, aber doch eine ganz eigene Moral vermitteln. Da ist einerseits eine Art Kriminalgeschichte um eine erfundene Vergewaltigung Mirandas, um sich an einer echten Vergewaltigung einer Freundin zu rächen oder auch die Begegnung von Charly mit Turing, die uns interessante Einblicke in die Computerentwicklung gibt und vor allem die sich mehr oder weniger zufällig ergebene Adoption eines von seinen Eltern nicht gewollten Jungen (wobei Charlie sich dabei von Miranda zur Vaterschaft gedrängt, genötigt, liebevoll erpresst fühlt). Die Lernleistung des Roboters kann man dabei in der Erziehung des Jungen messen und erkennen.

Insgesamt ein sehr humorvolles Buch („Gerade erst eingeschenkt, war mein Glas schon wieder leer, ohne, dass ich mich erinnern konnte, es auch nur berührt zu haben“!) mit einer tiefsinnigen Botschaft. McEwan streift alle relevanten Themen in unterschiedlichen Erzählsträngen, sei es Liebe, sei es Politik oder auch das riesige Gebiet der Informatik, ohne diese zu vertiefen. Alles bleibt irgendwie immer (bewusst?) an der Oberfläche. Die „ménage à trois“ zwischen einem frisch verliebten Paar und einem auf „Moralapostel“ getrimmten Heimroboter bietet allerdings immer wieder überraschende Wendungen und interessante Dialoge zwischen Mensch und seinem künstlichem, im Grunde überlegenen Ebenbild. Besonders humorvoll ist die Szene, als Charlie zuhören und sich einbilden muss, wie ein Stockwerk über ihm, seine Freundin Miranda Sex mit dem Androiden hat (damit am nächsten Morgen konfrontiert sagt sie: „Würdest Du dich genauso fühlen, wenn ich mit einem Vibrator ins Bett gegangen wäre?“) oder auch das Kapitel, als bei eine Besuch Miranda’s Vater verwechselt, wer nun der Roboter und wer nun der potentielle zukünftige Schwiegersohn ist.

Offensichtlich sind künstliche Intelligenz sowie Lebewesen in Fleisch und Blut (noch) nicht in der Lage eine gemeinsame „Mensch-Roboter-Sprache“ zu sprechen – und das, obwohl wir uns an diese Möglichkeit des Zusammenlebens immer mehr gewöhnen, ja gewöhnen müssen. Auch wenn man menschliche Faktoren in den Roboter einprogrammiert, kommt dieser offensichtlich mit den Widersprüchen zwischen Gesetzen, Moralvorstellungen, Wertekatalog und dem realen Handeln von uns Menschen nicht klar. Schwer pauschalisierbare Stärken und Schwächen von Menschen und Androiden sowie der Unberechenbarkeit im Denken, aber auch in ihren Taten und Handlungen machen eine vernünftige Kommunikation zu einer großen Herausforderung. Was macht uns Menschen so einzigartig, auch im Vergleich zu einem Androiden, der in Sekundenschnelle Millionen von Daten verarbeitet und seiner Intelligenz hinzufügt? Der Roboter ist vielleicht besser, moralischer wie wir Menschen, aber für die Welt, die wir Menschen erschaffen haben, ungeeignet. Er versteht unsere Entscheidungsfindung sowie unsere kognitiven Mängel nicht! Schließlich kapituliert der Roboter davor, dass nicht zu verstehen, was wir Menschen selbst nicht verstehen. Dies führt uns McEwan in seiner deutlichen und klaren Sprache vor Augen und macht das Buch so besonders – sehr lesenswert. Angesichts aller Irratonalität und unerklärlicher Widersprüche, welches er trotz seiner Intelligenz nicht ergründen kann (z.B. warum verhungern Menschen, wenn es eigentlich genügend für alle zum Essen gibt? warum zerstören wir den Planeten auf dem wir leben?) schaltet sich bei McEwan der Adam schließlich ab, begeht so gesehen Selbstmord. Dabei gibt er ein letztes kurzes Gedicht zum Besten, seine hellblauen Augen verfärben sich grün, die Hände zu Fäusten geballt, sackt schließlich sein Kopf auf den Tisch – und um der Groteske das Sahnehäubchen aufzusetzen, adoptieren Miranda und Charlie stattdessen ein Kind, also ein Wesen in Fleisch und Blut!

 

Fazit: Insgesamt ein sehr humorvolles Buch mit einer tiefsinnigen Botschaft.

Andreas Pickel

4 Sterne
4 von 5

© 2019 Andreas Pickel, Harald Kloth