Von einem der anfing, die Mauer wieder aufzubauen
Lüneburg ; Schulz ; 2019 ; 440 Seiten ; ISBN 978-3-937138-09-1
„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“ – doch: Horst Manfred Nolte, kurz HMN genannt, frustrierter und in seinen Meinungen festgefahrener Frührentner im sächsischen 13
Einwohner- und Gebäude-Dorf Einödow und Besitzer eines ausgestopften Hundes. Trotz Frühverrentung geht er täglich seiner „Arbeit“ nach: in bester Stasi-Manier bespitzelt er mit Feldstecher und
alter DDR-Uniform den Rest seiner Nachbarn, führt genau Buch und in seinem Keller – einer Mini-DDR – Zwiegespräche mit Genosse Erich.
Doch plötzlich kommt die Welt HMNs ins Wanken, gerät gar völlig aus den Fugen: Flüchtlinge sollen in sein Einödow einquartiert werden! Aber er ist wild entschlossen sein Refugium gegen die
Ausländer zu verteidigen und beginnt mit seinem Freund AA Pläne zu schmieden. Nachdem alle Maßnahmen scheitern gibt es nur noch einen Ausweg: eine Mauer um seinen Grund und Boden. Doch schon mit
dem ersten Meter beginnt sich das Projekt zu verselbstständigen, sein angedachtes Bollwerk wird länger und länger, wächst flugs in die Nachbardörfer hinein und wird von Politikern, der Presse und
vielen anderen als „einzigartiges Integrationsprojekt“ hingestellt. Und schon wird seine als „Schutzwall 2.0“ gedachte Mauer ums Haus zur nationalen Bewegung …
André G. Schulz bedient sich in dieser satirischen und teils irrwitzigen Tragikomödie – die auch Züge reinster Realsatire trägt – einiger wunderbarer literarischer Kniffe, um Längen zu vermeiden.
So bringen z.B. ein paar Seiten aus dem Tagebuch von Horsts Frau die Geschichte in Schwung – und schon sind zehn Tage rasant incl. unglaublich vieler Begebenheiten in kürzester Zeit
abgehandelt.
Doch neben der Satire bietet dieses Buch auch durchaus nachvollziehbare Meinung und Fakten über die Frustration der Bürger im Ostteil unseres Landes und der Autor schafft es spielend, dass einem
beim Lesen der Lacher öfter im Halse stecken bleibt, als einem lieb ist.
Dieses Buch greift in unseren politisch bewegten, fast stürmischen Zeiten ein Stück Zeitgeschichte auf und verarbeitet dieses Pointen reich und phantasievoll. Alles wird überspitzt dargestellt,
die Orts- und Personenbeschreibungen sind punktgenau, der Schreibstil ist kreativ und sehr unterhaltsam und der Autor versteckt in diesem kabarettistisch-satirischen Buch auch viele leise und
nachdenkliche Töne. Hinter der Satire und oft bitterbösen Ironie verstecken sich auch Tragik, Frust und Angst und man kommt zum Schluss des Buches nicht umhin, sehr lange über das Gelesene
nachzudenken.
Fazit: Ich kann mich nur den Worten des Autors anschließen: „100% frei von Laktose und Langeweile“.
Wolfgang Gonsch
© 2019 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth