Eine Weltgeschichte
Stuttgart ; Klett-Cotta ; 2019 ; 763 Seiten ; ISBN 978-3-608-98148-3
Als Kuwait nach der amerikanisch geführten militärischen Operation „Desert Storm“ von Husseins irakischen Truppen befreit war, trat am 6. März 1991 der 41. US-Präsident, George H.W. Bush vor den
amerikanischen Kongress und beschwor eine
neue Weltordnung, "… eine Welt, in der die Vereinten Nationen, befreit vom Patt des Kalten Krieges, die historische Vision ihrer Gründerväter verwirklichen werden; eine Welt, in der Freiheit
und Menschenwürde ihren Platz in allen Ländern finden…". Erst die an Grausamkeit nicht zu übertreffenden Balkankriege, die über 140.000 Tote und mehrere Millionen von Vertriebenen
verursachten, welche die Hoffnung, dass der Kontinent auf ewig zu Einigkeit und Frieden gedeihen würde, zur Illusion machten und schließlich “9/11“ mit all seinen globalen Folgen, belehrten uns
aber eines Besseren. Am 23. Mai 2002, also 11
Jahre nach seinem Vater, erklärte George W. Bush, der 43. US-Präsident, bei einer Rede im Deutschen Bundestag erneut den Kalten Krieg, der von Berlin seinen Ausgang nahm, für endgültig beendet
und begrüßte den „Verbündeten Russland“. Doch dass sich die Bushs stark täuschten, dass diese Erklärungen verfrüht waren und von der Geschichte längt überholt wurden, der „Kalte Krieg“ zurück
ist, erleben wir fast tagtäglich – allerdings nun eher noch komplexer, eher multipolar als bipolar. Dies nicht zuletzt durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim im März 2014 und der
hybriden Kriegsführung Russlands in der
Ost-Ukraine sowie kürzlich der Kündigung des INF (Intermediate Range Nuclear Forces) – Vertrages durch die USA und andererseits der Aufstieg Chinas zur wirtschaftlichen und militärischen
Supermacht. Die gesamte Geschichte des „alten“ Kalten Krieges ist nun von dem renommierten norwegischen Historiker Odd Arne Westad in seinem neuen Buch „Der Kalte Krieg. Eine Weltgeschichte“,
welches interessanterweise Aussagen aus seinem eigenen Buch „The global cold war“ aus dem Jahre 2005 teilweise zurechtrückt, exzellent aufgearbeitet und erzählt.
Westad steigt zeitlich nicht ein, wie man es vielleicht erwarten möchte, mit dem Ende des Zweiten Weltkrieg, sondern sieht bereits in dem wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wandel im 19.
Jahrhundert die Wurzeln des Kalten Krieges, also einfach ausgedrückt in der Frage zwischen Sozialismus oder Liberalismus bzw. vielmehr Kapitalismus. Der Sturz des Zaren 1917 sowie der
Kriegseintritt der USA im selben Jahr und damit das Ende des amerikanischen Isolationismus war für Westad die Grundlage für die Entstehung der beiden Supermächte. Der Erste Weltkrieg war der
Übergang der Welt in die Bipolarität, in den späteren „Kalten Krieg“, als sich jeweils eines der aufstrebenden Großmächte als Hüter der einen oder der anderen Ideologie positionierte oder besser
legitimierte. Für Westad war es gerade auch die Generation des Ersten Weltkrieges, die den späteren Kalten Krieg prägte, was sich in den Aspekten Angst, Unsicherheit, das Bedürfnis, an etwas zu
glauben und den Anspruch, eine bessere Welt zu schaffen, widerspiegelte. Der Glaube beider Seiten die jeweils einzig wahre Ideologie zu vertreten und dafür einzutreten führte dazu, dass man für
die eigene Existenz und auch die Existenz anderer derart hohe Risiken bis zur gegenseitigen Vernichtung einging, die unter anderen Umständen vermeidbar gewesen wären.
Mit der Kapitulation Hitler-Deutschlands entwickelten sich u.a. durch die Westbindung Westdeutschlands nach und nach zwei festgelegte Blöcke in Europa, die sich strikt voneinander abgrenzten. Der
Kalte Krieg und die Angst vor einem zerstörerischen Atomkrieg verfestigten zwar den Zusammenhalt innerhalb der beiden Blöcke, verursachten andererseits aber als „Preis“ die endgültige und über
Jahrzehnte verfestigte Spaltung Europas. Die europäischen Staaten, die bis dato die Welt unter sich aufteilten, waren wirtschaftlich und sozial zu erschöpft, waren mit Wiederaufbau und der
Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Arbeit, Dach über den Kopf, Essen und Trinken beschäftigt, um sich mit aller Macht gegen die Aufstände der Kolonien gegen die teils jahrhundertlange
Fremdherrschaft zu wehren und ihren bisherigen Großmachtstatus zu behalten. So beherrschten oder zumindest beeinflussten von nun an quasi konkurrenzlos die USA und die Sowjetunion die
Geschehnisse auf allen Kontinenten.
Zwangsläufig musste es aufgrund der ideologischen Gegensätze bald zu einem Mächtespiel in den überlappenden Interessensphären geben. Von amerikanischer Seite war es die am 12. März 1947
verabschiedete Truman-Doktrin zur Eindämmung des Kommunismus, die den Kalten Krieg anschürte, mit der Folge von immenser wirtschaftlicher (auf Heute umgerechnet in Milliardenhöhe!) und
militärischer Unterstützung z.B. für den Iran, der Türkei oder auch Griechenland. Der der Truman-Doktrin folgende Marshallplan für den wirtschaftlichen Aufbau war, so Westad, der wesentliche
Grund für die deutsche Teilung. Die Sowjetunion ihrerseits etablierte in ihren besetzten Gebieten schnellstmöglich kommunistische Regierungen. Widerstand gegen die sowjetische Führung war fast
unmöglich, der Konformismus siegte über den Widerstand, der Preis für eine oppositionelle Haltung, der oftmals das Leben kostete, war viel zu hoch. Die Ostblockstaaten verkümmerten stattdessen zu
konservativen autoritären Ländern, die keinerlei revolutionäre Energie und utopischen Anspruch mehr besaßen. Ende der 40er Jahre waren die beiden Blöcke in Europa dann mehr oder weniger
manifestiert.
Westad geht nicht chronologisch, sondern thematisch vor und ermöglicht so einen allumfassenden und tiefgründigen Einblick in alle Facetten des Kalten Krieges. Als Ostasienexperte beschränkt er
sich natürlich nicht auf den Kalten Krieg und seine Auswirkungen auf Europa, sondern widmet sich gleichermaßen dem Engagement der beiden Mächte in Asien und anderswo. In 22 Kapiteln führt er uns
von Europa aus einmal quer über den Globus und wieder zurück. Während in Europa der „Kalte Krieg“ im wahrsten Sinne des Wortes bald vor Kälte erstarrte, zur Bewegungslosigkeit eingefroren war,
verlagert Westad seinen Blickwinkel auf Regionen des „dynamischen Systemkonflikts“ von der koreanischen Halbinsel über China - hier standen, was bei uns kaum bekannt ist, China und die
Sowjetunion Ende der 60er Jahre fast vor einem Atomkrieg - Vietnam, Naher Osten, Latein- und Mittelamerika bis nach Indien und Pakistan. Wo zweckmäßig angebracht ergänzt Westad seine analytischen
Aussagen durch Zitate und Statements der Protagonisten der Zeit. Dies unterstreicht auch sein umfassendes Quellenstudium. Beeindruckend legt der Autor auch da, wie die Großmächte trotz aller
militärischer und wirtschaftlicher „Power“ oftmals selbst von Kleinststaaten gegeneinander ausgespielt wurden. Während die Sowjetunion oder die USA glaubten den Länden jeweils ihre jeweilige
Ideologie überzustülpen, ging es denen stattdessen nur um den Erwerb von Wohlstand, neuer Waffen und technologischem Know-how. Die Ideologie war Ihnen egal und man wechselte oder drohte zumindest
die Seiten zu wechseln, wenn es opportun schien.
Den Krieg in Korea bezeichnet Westad nicht nur wegen seiner mehr als vier Millionen Toten als die größte Katastrophe des Kalten Krieges, vor allem auch, weil er vermeidbar gewesen wäre. Das
Eingreifen der Supermächte dort intensivierte die
Militarisierung des Kalten Krieges (z.B. Verdopplung des amerikanischen Verteidigungshaushalts, Entwicklung der NATO von einer politischen Organisation zu einem integrierten Militärverband). Aber
auch vermeintlich unbedeutende Krisen wie im Kongo 1960 werden durch Westad beleuchtet, als die USA dort eine von ihnen unterstützte Militärregierung etablierten und die Sowjetunion die Lektion
lernen musste, dass ihre militärischen Fähigkeiten nicht ausreichten, um ihre Interessen in Zentralafrika zu schützen. Tiefpunkt der amerikanischen Außenpolitik der Nachkriegszeit war sicherlich
der Vietnamkrieg und die sogenannte „Flucht aus Saigon“ 1975, dessen Verlauf und seine Konsequenzen von Westad exzellent analysiert werden. Aber nicht nur an diesem Beispiel räumt Westad mit der
oftmals herrschenden Meinung auf, so kalt der Krieg auch war, so
langandauernden Frieden hat er trotz aller Krisen und Angst vor der atomaren Zerstörung doch auch gebracht. Dies zeigte sich auch in Lateinamerika, als die Amerikaner den lateinamerikanischen
Radikalismus und Kommunismus in einen Topf
warfen und deshalb die größten Unterstützer der Militärjuntas wurden. Westad bezeichnet diese Diktatoren als die wahren Tragödien des Kalten Krieges in Lateinamerika, hemmten sie doch auch
erheblich den wirtschaftlichen Fortschritt, worunter neben willkürlichem Terror insbesondere die Bevölkerung zu leiden hatte. Trotz permanenter Menschenrechtsverletzungen (alleine in Argentinien
wurden zwischen 1976 und 1983 10.000 Menschen ermordet) rückten die USA von ihrer Unterstützung nicht ab. Eines wird auch an diesem Beispiel deutlich: Die Absicht der beiden Supermächte, durch
Intervention in den sogenannten Stellvertreterkriegen oder –krisen mehr Stabilität in die Welt zu bringen, scheiterte mehr oder weniger kläglich. Im Gegenteil, dem Gegner so die Überlegenheit des
eigenen Systems zu verdeutlichen, führte vielerorts zu „verbrannter Erde“, zu Chaos und unzähligen auch eigenen Opfern (z.B. in Vietnam für die USA, in Afghanistan für die Sowjetunion), ein
Chaos, welches wir auch heute überall weiter erleben können, wenn man nur in den Irak, Syrien oder nach Libyen blickt.
Natürlich darf in so einem Buch auch nicht die permanent latente Bedrohung mit Nuklearwaffen unbeachtet bleiben. Nicht zu prominent, aber doch in ausreichender Tiefe beschreibt Westad vor allem
bedingt durch den Wechsel der Entscheidungsträger auch den Wechsel der Strategie: Vom anfänglichen Prinzip der Vorneverteidigung über das Konzept der „Massiven Vergeltung“ (Massive Retaliation)
zu der unter Kennedy entwickelten Single Integrated Operational Plan (SIOP), der in die „Strategie der flexiblen Antwort“ (NATO-Strategie seit 1967/1968) mündete. Diese fußte auf einem scheinbar
abgestuften Eskalationskontinuum, bei dem auf die direkte konventionelle Verteidigung eine freiwillige, nicht erzwungene Eskalation durch den Einsatz nuklearer Gefechtsfeldwaffen und schließlich
ein allgemeiner strategischer Nuklearwaffeneinsatz folgen konnten. Es wurde bewusst offengelassen, wann welche Eskalationsstufe gewählt und ob jede dieser Stufen durchlaufen würde. Bekannt ist in
diesem Zusammenhang auch das Prinzip der Mutual Assured Destruction (MAD gesicherte wechselseitige Zerstörung), eine ab früher 60er Jahre in den USA entwickelte minimalistische Nuklearstrategie
mit dem Ziel des Erhalts einer nuklearen Zweitschlagfähigkeit.
Neben der Aufrüstungsspirale gab es aber natürlich auch immer wieder Phase der Entspannung. Als deren größten Erfolg in Europa bezeichnet Westad die gerade durch die Aktivitäten der
osteuropäischen Staaten etablierte Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), deren Schlussakte am 1. August 1975 durch 35 Staats- und Regierungschefs in Helsinki
unterschrieben wurde.
Ein wenig bekannter Nebenaspekt des Kalten Krieges sind die sogenannten nichtpaktgebundenen Staaten, die sich im Zuge der Kongokrise 1961 zur „Bewegung der Blockfreien Staaten“ zusammenschlossen.
Wesentlicher Treiber dieser Bewegung
waren Jugoslawien, Ägypten und Indien. Ziele waren die Förderung des Weltfriedens durch eine friedvolle Entkolonialisierung und der Kampf gegen Rassismus. Im Laufe der Jahre schlossen sich weit
über 100 Staaten dieser Bewegung an. Allerdings, so Westad, auch wenn diese Staaten blockfrei waren, so waren sie doch alleine nicht handlungsfähig und doch immer wieder für das Durchsetzen von
Zielen auf den einen oder anderen Block angewiesen. Trotzdem wurde durch derartige Zusammenschlüsse nach und nach das bisherige System von „Herrscherstaaten“ sowie „Beherrschten und
Unterworfenen“ aufgebrochen.
Gorbatschow war schließlich DIE entscheidende Figur für das Wideraufleben der „Macht des Volkes“ und der Beendigung des Kalten Krieges. Sicherlich, gerade ein erneutes paralleles Wettrüsten zur
durch Ronald Reagan geplanten amerikanischen
Strategic Defence Initiative (SID - Aufbau eines im Weltraum stationierten Abwehrschirm gegen Interkontinentalraketen) hätte die Sowjetunion, die bereits über 15% ihres Bruttoinlandsproduktes für
Verteidigung ausgab, in große Schwierigkeiten gebracht. Aber dies alleine hätte in Verbindung mit einer schwächelnden Wirtschaft nicht zum Zusammenbruch des Systems geführt. Für Westad waren es
vielmehr „Perestroika“ (Umgestaltung … des politischen und wirtschaftlichen Systems) und „Glasnost“ (Transparenz und Offenheit), welche die Wende brachten. Gorbatschow war für Westad nicht das
„glücklose Opfer der Ereignisse“ sondern hat die Demokratisierung auch für die Sowjetunion und die Entfernung des Eisernen Vorhangs bewusst gewollt, so gesehen also eine Art von Vorsatz. Gerade
durch „Glasnost“ bedrohte die Peripherie das Zentrum so, dass
das System von außen nach innen erodierte und dann seine Zeit brauchte, um sich wieder zu konsolidieren. Eigentlich dann erst wieder in der ersten Ära Putin als russischer Staatspräsident.
Mit dem Fall der Mauer und der Implosion der Sowjetunion hatte man mit den USA zwar zunächst einen vermeintlichen Sieger, wenn man aber den weiteren Verlauf der Geschichte betrachtet, z. B. mit
dem 11. September 2001, eher einen
Pyrrhussieg. Die Vereinigten Staaten, so Westad, haben aus dem Kalten Krieg die falschen Lehren gezogen: Arroganz, Überdehnung der eigenen Fähigkeiten und fehlende strategische Ziele führten
schließlich zu einer neuen „Weltunordnung“
und einem neuen Kalten Krieg. Die Anwendung oder auch nur die Androhung von Gewalt war oftmals das falsche Mittel, das Recht des Stärkeren steht für die USA zu oft über der Stärke des Rechts,
kritisiert er völlig zurecht. Anstelle von einem Bemühen um regionale Bündnisse, effektive wirtschaftliche Embargos und bei Bedarf gezielte wirkungsvolle Luftschläge, setzte man auf
„Powerprojection“, territoriale Kontrolle und Regimewechsel, mit der Folge, dass es der Bevölkerung des betroffenen Staates danach schlechter ging als vorher. Die eigentlichen Prinzipien
amerikanischer Außenpolitik wie z.B. Schutz der Menschenrechte, Religionsfreiheit, Recht auf Selbstbestimmung wurden oftmals durch eigenes Handeln konterkariert. Dies verwundert umso mehr, so
Westad, da gerade langfristige Bündnisse, technologischer Fortschritt und die Bereitschaft zu
verhandeln der Garant für den amerikanischen Erfolg im Kalten Krieg waren und nicht eben Aufrüstung und militärische Intervention aller Orten. Zu Recht greift Westad auch die herablassende
Behandlung Russlands durch den Westen an, die
trotz der großen sowjetischen Zugeständnisse im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands sowie der Unabhängigkeitsbestrebungen der ehemaligen Sowjetrepubliken offenkundig war. Dieses fehlende
Gefühl auch für Sentimentalitäten machte sich dann letztendlich Putin zunutze, der hervorragend auf diesem Klavier zu spiele wusste und weiß.
Große Kritik übt Westad auch im Umgang des Westens mit der arabischen Welt und der Politik im Nahen Osten. Das Vordringen des arabischen Nationalismus wurde fahrlässig unterschätzt, vor allem von
den USA. Gerade der Irak-Krieg ist für
ihn die Hauptursache für den islamischen Terrorismus, den wir vielerorts grausam spüren mussten und leider auch weiter spüren werden. Er kam nicht einfach zu uns, sondern wir haben viel dazu
beigetragen, ihn quasi zu uns geholt. Lange Zeit verließen sich die USA vor Ort auf lokale verbündete Staaten, um dort für Recht und Ordnung zu sorgen. Diese Politik des „offshore balancing“
verhinderte den direkten ressourcenintensiven Einsatz von eigenen Mitteln. Erst die Implosion der Sowjetunion und dem ersten Irakkrieg provozierte ein direktes militärisches Eingreifen und führte
dazu, dass heute noch fast 70.000 Soldaten in verschiedensten Basen in unterschiedlichsten Ländern dort stationiert sind. Mittlerweile sind die Vereinigten Staaten selbst erschöpft von den
zahlreichen Kriegen und Konflikten im Nahen Osten. Aktuellen Berechnungen zur Folge wurden dafür bis dato mehr als drei Billionen (sic!) Dollar ausgegeben. Die Bemühungen der USA sich deswegen
nach und nach aus der Region zurückzuziehen führten dann dazu, dass wiederum Russland verstärkt in dieser Region intervenierte. Dies kann sicherlich auch nicht im Sinne der US-Administration
sein. Es fehlt einfach an einer langfristig belastbaren außenpolitischen Strategie.
Gerade weil das Buch nicht chronologisch, sondern thematisch aufgebaut ist und trotzdem die unterschiedlichen Regionen und Ereignisse in den Kapiteln verknüpft werden, Erzähl- mit analytischem
Stil sich abwechseln, spannt es einen äußerst
präzisen und vollständigen Bogen um alle Aspekte des Kalten Krieges. Zum besseren Verständnis und, um sich besser in die Situation der Menschen und Akteure der jeweiligen Zeit versetzen zu
können, baut Westad auch geschickt zeitgenössische Ansichten in Form von Zitaten und Reden mit ein. Interessant wäre es, wie Westad heutzutage mit den Twitter Nachrichten von Präsident Trump als
Zitatnachweisen umgehen würde! Zu Beginn eines jeden Kapitels konfrontiert uns Westad mit einer knapp formulierten interessanten „Sichtweise“, macht uns so neugierig, um uns dann den analysierten
Bereich ausführlich näherzubringen – ein wirklich großer Wurf! Westad gibt zu, dass man aufgrund der mittlerweile umfangreichen Quellenlage in einigen Bereichen noch viel tiefer hätte einsteigen
können. Das hätte aber das Ausmaß des 700 Seiten dicken Buches zu einer
mehrbändigen Reihe ausarten lassen. Seinen Zweck sieht der Autor auch erfüllt, wenn der Leser „angestupst“ wurde, selbst noch tiefer in die Themenvielfalt des Kalten Krieges einzutauchen.
Westad gelingt es exzellent, die Interdependenzen der beiden „kalt“ gegenüberstehenden Supermächte USA und UdSSR darzustellen. Der eigentlich ideologisch bedingte Konflikt kann ohne die
Verknüpfung mit dem wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wandel der Zeit nicht begriffen werden. Deshalb lässt der Autor keinen Bereich aus, bietet sowohl den Blick auf
die großen macht- und weltpolitischen Vorgänge und Prozesse, richtet seine Perspektive aber gleichermaßen auf den einzelnen Menschen auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“. Aber, das
Mächteränkespiel fand überwiegend im Bereich der Wirtschaft, Außen- und Sicherheitspolitik und damit der Diplomatie und dem Militär statt. Auch wenn ein unheimlich rasanter Wandel in Wirtschaft
und Technik und damit auch in seinen Auswirkungen auf das Sozialsystem mit dem
Verlauf des Kalten Krieges einherging, so waren es doch die Staaten und ihre Protagonisten, welche die „Pace“ vorgaben. Der Kalte Krieg sorgte dafür, selbst in den USA, dass der Staat nach und
nach seine Macht über den Menschen und die
Gemeinschaften vergrößerte. Mit dem Ende des Kalten Krieges geriet diese Denkweise zunehmend unter Druck, die Zentralregierung war eben nicht mehr die Lösung aller Probleme, freiagierende
deregulierte Märkte und Zusammenschlüsse
nahmen nach und nach das Zepter in die Hand. Dies galt gleichermaßen, mit allen Vor- und Nachteilen, für die Einigungs- und Unabhängigkeitsbestrebungen von Gruppierungen gleicher religiöser,
ethnischer oder sprachlicher Identitäten.
Zusammenfassend, nach den beiden Bestsellern „Höllensturz“ und „Achterbahn“ des renommierten britischen Historikers Ian Kershaw, liegt nun mit „Der Kalte Krieg“ ein zweites sehr beeindruckendes und absolut lesenswertes Buch über die
politischen Vorgänge und Abläufe im 20. Jahrhundert vor. Für Westad war der Kalte Krieg aus den zu Beginn geschilderten Geschehnissen des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts mit
Herausbildung der beiden Supermächte unvermeidlich. Vermeidbar war aber für ihn vieles, was innerhalb des „Kalten Krieges“ geschah, gerade die Kriege der USA. Der Kalte Krieg erklärt und bedingte
vieles in der Zeit von 1945 bis 1990, aber natürlich kann er nicht für alle die komplexen Zusammenhänge geradestehen. Der Kalte Krieg, so Westad, beeinflusste die meisten Phänomene seiner Zeit,
und zwar oft zum Schlechteren.
Mit der Auflösung der Sowjetunion verschwand der Kalte Krieg relativ plötzlich, hatte aber eine lange Vorgeschichte. Das bringt uns der Autor nachdrücklich nahe. Westad will uns eigentlich den
Ost-West-Konflikt erklären, bringt uns aber stattdessen faszinierend eine Art „Weltgeschichte“ näher. Ein „muss“ für jeden zeithistorisch interessierten Leser. Westads Buch ist keine
Glaskugel, um damit in die Zukunft zu schauen, aber bei ihm zu Lesen, warum vieles so gekommen ist, wie wir es heute erleben ist, ist ein Genuss.
Fazit: Exzellent dargestellt und beeindruckend. Absolut lesenswert für alle zeithistorisch Interessierten.
Andreas Pickel
© 2020 Andreas Pickel, Harald Kloth