Der innere Kreis im Dritten Reich und danach
München ; C. H. Beck ; 2019 ; 528 Seiten ; ISBN 978-3-406-73527-1
1929 kommt es im Atelier seines Leibfotografen Heinrich Hoffmanns zum ersten Kontakt zwischen der damals Siebzehnjährigen Eva Braun und dem über zwanzig Jahre älteren Hitler. Offensichtlich
angetan von Ihrer Anmut und Schönheit trafen sich die Beiden in der Folge in unregelmäßigen Abständen, stets abseits der Öffentlichkeit. Es sollte Hitlers einzige Frau in seinem Leben bleiben.
Aus einer anfänglich lockeren Beziehung wird schließlich eine Beziehung auf Gedeih
und Verderb. Doch war sie nicht sein einziger sozialer Kontakt.
Nach zwölf Jahren nationalsozialistischem Terrorregime, zunächst in Deutschland, dann ausgeweitet auf ganz Europa, wurde die Chimäre von Hitlers tausendjährigem Reich und damit sein „Griff nach
der Weltmacht“ spätestens mit dem Selbstmord
des selbsternannten Größten Feldherrn aller Zeiten am 30. April 1945 beendet. Bis zum Schluss hielten ihm ein engerer Zirkel und oft langjährige Gefährten und Vertraute die bedingungslose Treue,
obwohl eigentlich schon spätestens seit der Niederlage bei Stalingrad der Krieg Anfang 1943 verloren war. Wer waren aber neben Eva Braun all diese Frauen und Männer in seiner Entourage? Waren es
nur Profiteure oder Menschen, von denen gerade in seinen Aufstiegsjahren Hitler profitieren konnte? Oder waren es echte Freunde? Dies untersucht die Historikerin und Erfolgsautorin Heike B.
Görtemaker in ihrem neuen Buch: "Hitlers Hofstaat".
Görtemaker geht chronologisch vor und unterteilt ihr Buch in drei große Kapitel: „Kreis für Hitler“, also diejenigen, die dazu beitrugen, dass Hitler an die Macht kam, diejenigen, „Berghofkreis“
oder „Kreis um Hitler“, also die Personen, die dann von seiner Macht profitierten und zu seinen engsten Beratern zählten und schließlich in der Nachkriegszeit der „Kreis ohne Hitler“, also
diejenigen, die weiter vernetzt blieben, um sich gegenseitig in ihren „Lügenmärchen“ zu unterstützen.
Auch wenn die Autorin teils sehr genau einzelne Protagonisten und deren Rolle beschreibt, geht es ihr doch mehr um die Funktion dieses gesamten inneren Zirkels auf der Zeitachse. Dabei nahm
natürlich Hitler gerade in der Anfangsphase gezielt Einfluss darauf, Personen um sich zu scharen, die ihm nutzen konnten, wie dann später Personen, die von ihm zwar zu profitierten, aber auch in
seinem Sinne agierten – aber zu welchem Zeitpunkt auch immer, uneingeschränkte Loyalität war die Grundvorrausetzung für jegliche Nähe zum Führer. Das heißt ebenso, dass er Leute aufs Abstellgleis
stellte oder gar nach
ihrem Leben trachtete, wenn sie ihm nicht mehr nutzen konnten oder abtrünnig wurden. Andererseits förderte er auch Leute, so z.B. Wilhelm Brückner, der sich in der „Kampfzeit“ der NSDAP als
Führer des SA (Sturmabteilung) Regiments München z.B. beim Hitlerputsch bewährte und dann 10 Jahre später als SA-Obergruppenführer zum Chefadjutanten Hitlers berufen wurde. Der vertraute Kreis um
den Führer hatte zu Beginn zwei Motive: Ablenkung vom Tagesgeschäft und Beeinflussung des Weges an die Macht. Diese unterstützend wirkte eine Art „Mäzenaten-Kreis“ um den Verleger Bruckmann,
Winifred Wagner (Schwiegertochter Richard Wagners und Leiterin der Bayreuther Festsiele von 1930 bis 1944) sowie dem Fabrikanten Bechstein, die Hitler finanziell großzügig unterstützten. Ab 1925
verfiel dann auch Goebels dem Charisma Hitlers und blieb auch bis in den Selbstmord zusammen mit seiner Ehefrau Magda (geschiedene Ehefrau des Industriellen Quandt), die zur Ikone der Frauen im
Dritten Reich wurde, einer seiner treuesten Schergen. Gerade in der Anfangsphase des „Politikers Hitlers“
zeigte sich, so Görtemaker, dass jeder Erfolg, jeder neue Bekannte aus der Haute Volée den Narzissmus Hitlers förderte und er die Inkarnation für die nationalistischen Träume und politischen
Ziele dieser Menschen wurde – den Traum vom „Neuen Großreich“ verband man „ohne wenn und aber“ mit Hitler.
Nach dem „Röhm-Putsch“, in dem eben gerade den „Illoyalen“ der Garaus gemacht wurde, formierte sich nach und nach um Hitler die „Berghausgesellschaft“ (benannt nach Hitlers Anwesen auf dem
Obersalzberg), Hitlers eigentlichem Regierungssitz nun. Dank seines über eine Million Mal verkauften Buches „Mein Kampf“ wurde Hitler zum Millionär, dank einer perfekten Inszenierung nun zum
Medienstar. Wie heutzutage bei einer royalen Hochzeit strömten Tausende auf den Obersalzberg, um einen kurzen Blick auf ihn zu erhaschen. Zu dieser „Berghausgesellschaft gehörten nun auch junge,
aufstrebende Zöglinge wie Albert Speer und dem „Herrenmenschen“ Karl Brandt (blond – groß – schlank – attraktiv – beste Manieren – Arzt) oder auch sein Leibarzt Theodor Morell. Dazu zählten zum
„Hofstaat“ nun das „Leibpersonal“ wie es Könige seit Jahrhunderten um sich
scharrten wie Ärzte, Sekretäre, Leibwächter, Diener, Chauffeure (=Kutscher) etc., dann die gesamte Riege der militärischen Adjutanten und letztendlich die sagen wir mal sozialen Kontakte wie eben
Eva Braun, deren Schwester, Ehefrauen und Familien der militärischen und politischen Gruppenmitglieder wie Speer, um so einen Hauch von Familiengefühl einzubringen. Für die positiven Effekte auf
das eigene Wohlergehen unterstützte Hitler seine persönliche Runde mit Karriere, Geld und anderen Aufmerksamkeiten.
Das NS-Regime wurde insgesamt von mehreren Machtsäulen getragen, die miteinander verzahnt waren und sich nicht selten bekämpften. Als Bestandteile oder Leitinstanzen dieser Polykratie gehörten
neben der NS-Führungsspitze, die Massenpartei, die SS sowie die Staatsbürokratie auch das Militär, die Wirtschaft, die Kirchen und die Wissenschaft. Dieses Bündnissystem zwischen
Nationalsozialismus und alten sozialkonservativen Eliten, das dem System Funktionsfähigkeit, Effizienz und Dynamik sicherte, grenzte Hitler aus seinem „Hofstaat“ wohl bewusst aus … dieser sollte
somit wirklich ein Rückzugsraum von der realen Politik sein.
Auffällig war aber auch, es waren keine „Hochgebildeten“, gelehrte Staatsrechtler oder Philosophen unter den Gästen. Dies unterstreicht Hitlers lebenslange Unsicherheit, ja hasserfüllte
Verbitterung wie es die Autorin treffend ausdrückt, gegen diese Art von ihm intellektuell überlegenen Menschen. Viele der Gäste waren aber in führenden Positionen der Partei, Regierung oder
Wehrmacht, so dass auf dem Berghof natürlich auch Politik gemacht und Entscheidungen getroffen wurden und damit auch alles wie die Pogrome und mörderischen Verbrechen bekannt gewesen sein musste.
Von allen Plänen Hitlers musste diese Kreis direkt durch Hitlers bekannte stundelange Monologe oder indirekt über Seitengespräche untereinander Kenntnis gehabt haben. So etwas in einem derart
intimen Kreis geheim zu halten, ist unmöglich, ob es jedoch zu richtiggehenden Dialogen und Diskussionen kam, ist schwierig nachzuweisen. Gerade Albert Speer, der Arzt Karl Brandt und der
persönliche Adjutant Hitlers, Nicolaus von Below und natürlich Joesph Goebbels waren innerhalb des Zirkels nochmals besonders privilegiert und deswegen mit Sicherheit über alle Denk –und
Handlungsprozesse Hitlers informiert und auch unmittelbar daran beteiligt. Aber, und das wird aus dem Werk Görtemakers mehr als deutlich, der engste intimste Kreis bestand überwiegend nicht aus
allseits bekannten Protagonisten des Regimes (wie z.B. Speer, Goebbels, später Bormann), sondern eben vor allem aus den unscheinbaren „Führer-Rundumsorgloshelfern“ wie Adjutanten, Sekretärinnen,
Familienmitgliedern. Klar wird auch, Hitler hatte seit Beginn seiner politischen Karriere in irgendwelchen Wirtshauskellern, mit seinen Reden die Fähigkeit unterstrichen, die Zuhörer und Massen
zu begeistern, mit diesem Zirkel wird auch deutlich, dass er auch Individuen beeinflussen, für seine Zwecke missbrauchen und ja, eben auch für sich enthusiasmieren konnte. Wie auch immer,
diese
Gesellschaft hielt dann bis auf wenige Ausnahmen bis zum Tod Hitlers zusammen … ja und eigentlich darüber hinaus wie Görtemaker nachweist, durch weiterhin persönliche Kontakte, Briefverkehr und
einfachem Interesse, was der andere so
machte. Gemeinsam ist allen eine kollektive Rechtfertigung in Memoiren und Aussagen, die Versuche, sich selbst als Opfer anstelle als Täter dazustellen, die es nicht ganz einfach machten, mit
diesem Buch die wahren Geschehnisse zu rekonstruieren. In der materiellen und persönlichen Existenz bedroht, entwickelte man gemeinsame Verteidigungsstrategien und man gab sich teilweise
gegenseitig (eidesstattliche) Entlastungserklärungen. Dieser Kreis, so Görtemaker prägte durch seine Memoiren und Aussagen bei Vernehmungen und vor Gericht das Bild über Hitler und seinem Umfeld
über Jahrzehnte.
Während Görtemaker der „Berghofgesellschaft“ einen breiten Raum in ihrem Werk einräumt, ist der Part in der „Wolfsschanze“ (Tarnname für das Führerhauptquartier von 1941 bis 1944 in der Nähe von
Rastenburg, Polen), in der wie in einem kleinen Dorf fast 2.000 Personen lebten und arbeitete, begründet in einer dürftigen Quellenlage auch eher spärlich. Gerade aus dieser Zeit wäre die eine
oder andere Beschreibung über die Wirkungsweise des „Hofstaats“ dort interessant gewesen. Am 20. November 1944 zog der ganze Tross in einem Sonderzug um nach Berlin in den Bunker der
Reichskanzlei, wo gut 5 Monate später der Führer und seine einen Tag zuvor geheiratete Frau Eva Braun Selbstmord begangen.
Görtemaker hat seit „Eva Braun - Leben mit Hitler“ jahrelang für dieses neue Buch recherchiert. Das lange Suchen und
Analysieren, eigentlich Getrenntes Zusammenzuführen und Zusammenhänge herzustellen, hat sich gelohnt. Sie bildet einen teils neuen Blick auf die unmittelbare Umgebung von Hitler und
entmythologisiert das lange vorherrschende Bild des „Lonely Cowboys“, der sich quasi selbst an die Spitze des Deutschen Reiches gehievt hat. Aufgrund der jetzt erschöpften Quellenlage wird noch
mehr „Schlüssellochblick“ kaum möglich sein. Dies insbesondere deshalb, weil Hitlers letzter Chefadjutant, Julius Schaub, auf Befehl Hitlers noch viele wichtige Dokumente aus Hitlers Wohnung in
München sowie auf dem Berghof vernichtete.
Die „Berghofgesellschaft“ war für Hitler nicht nur eine Abwechslung zu den für ihn suspekten Generalen und zu dem „Tagesgeschäft“ des Krieges, der Partei und der Vernichtung der Juden, sondern
auch ein Instrument seiner Machtausübung. Gesetze und Verordnungen diskutierte und letztendlich entschied Hitler in diesem Kreis und nicht mit dem Führungspersonals des NA-Regimes.
Der Berghof mit seiner Hausherrin Eva Braun wurde zur heimlichen Regierungszentrale, hier entwickelte Hitler seine Kriegspläne und Gesetze, hier empfing er seine Staatsgäste. Nur hier führten der
Führer und seine Geliebte so etwas wie eine eheähnliche Beziehung. In wie weit die Berghof-Runde in die politischen Geschehnisse eingebunden war, wie viel sie über die politische Verfolgung,
später dem Genozid an die Juden wussten, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Die verschiedensten Autobiografien der Protagonisten tragen kaum zur Aufklärung bei, dienten diese doch meist nur dem
eigenen Reinwaschen vor jeglicher Schuld. Allerdings, so die Autorin, war in Hitler´s Berghofentourage Politisches von Privatem kaum zu trennen. Auf alle Fälle konnte er dort auf eine stets
loyale und linientreue Zuhörerschaft für seine utopischen Ziele rechnen. Auch Eva Braun scheint Hitler´s Weltanschauung nicht kritisch hinterfragt zu haben. Erst nach dem Scheitern bei Stalingrad
Anfang 1943 änderte sich die zumeist ausgelassene Stimmung auf dem Berghof, die Loyalität gegenüber Hitler blieb davon aber unbenommen. Was Hitler in seiner Rede am 1. September 1939 vor dem
Berliner Reichstag von allen Deutschen verlangte „so wie ich selber bereit bin, jederzeit mein Leben für mein Volk und Deutschland einzusetzen, so verlange ich dasselbe auch von jedem anderen“,
also „Sieg oder Tod“ galt besonders für diesen engen Kreis.
Was gerade in dem letzten Teil des Buches wieder deutlich wird: In einem System, dass unterhalb von Hitler von mehreren Machtsäulen getragen wurde, die miteinander verzahnt waren und sich nicht
selten bekämpften, wurde so manches Unrechtbewusstsein verschluckt. Nicht erst bekannt seit den Forschungen Friedländers, verfolgte Hitler stur seiner Ideologie, dem so genannten
Erlösungsantisemitismus. Demnach waren die Ursachen für den Holocaust in einem geradlinigen, im Wesentlichen von politisch-ideologischen Triebkräften bestimmten Weg in den organisierten
Massenmord. Die Vernichtung der Juden war die Realisierung des Programms Hitlers, der durch seinen pathologisch antisemitischen Wahn von der Idee besessen war, die Juden zu eliminieren Die
Gesellschaft und gerade der Personenkreis unmittelbar um Hitler partizipierte offensichtlich so ohne weiter darüber nachzudenken an der Ausgrenzung und an der Tötung, ohne nach eigenem Empfinden
etwas moralisch Verwerfliches zu tun. Obwohl sie sich in allen Vernehmungen danach als überzeugte Anhänger präsentierten,
stellte man sich sogar selbst als Opfer da, wollte von den Massenmorden nichts gewusst haben. Görtemaker bezeichnet dies sehr treffend als „Zuschauer in einem von Hitler aufgeführten
Theaterstück“. Was auch klar wird, am Image der Person
Hitlers wurde auch in der größten Not nicht gekratzt, schon gar nicht in diesem engeren Kreis und zu keinem Zeitpunkt war die Gefahr einer „Revolution von Innen“ virulent. Dies war auch ein
wesentlicher Grund dafür, dass die Kapitulation nicht nur zu einer militärischen und politischen, sondern auch zu einer moralischen Katastrophe für besonders diesen Kreis wurde.
Auch wenn Sie nichts wesentlich Neues aufdeckt, sie korrigiert einige der bisherigen Mythen über Adolf Hitler. Er war eben nicht der neurotische unnahbare Führer, sondern pflegte sehr wohl
Beziehungen und führte eine Art Privatleben. Und gerade dieses soziale Umfeld war maßgebend dafür, dass Hitler überhaupt an die Macht kam und diese dann konsolidierte und sukzessive ausbaute. Der
dargestellte Zirkel, vergleichbar eines royalen Monarchen, hatte also nicht nur „soziale“, sondern auch eine wesentliche politische Funktion. Hierin liegt die wesentliche Leistung des Buches.
Fazit: Der Autorin gelingt es, einzelne Biografien mit den weitläufigen und sehr komplexen Zusammenhängen einzelner Schauplätze, Entscheidungen und Ereignisse in verständlicher Art und Weise zu verknüpfen und so dem Leser eine hervorragende Gesamtschau über das Umfeld Hitlers zu liefern.
Andreas Pickel