Manuela Golz: Sturmvögel

Roman

Köln ; Dumont ; 2021 ; 332 Seiten ; ISBN 978-3-8321-8137-6
 

Mit ihren sechsundachtzig Jahren verkörpert Emmy Seidlitz wohl das, was sich die meisten Menschen fürs Alter wünschen würden. Sie ist ein zufriedener lebensbejahender Mensch, der auf ein erfülltes Leben zurückblickt. Womöglich liegt es an Emmys Herkunft, dass sie sich an den einfachen und kleinen Dingen erfreuen kann. Aufgewachsen auf einer kleinen Nordseeinsel, war ihre Kindheit geprägt von Entbehrungen und nach einigen Schicksalsschlägen wird sie als Vierzehnjährige als Dienstmädchen ins ferne Berlin vermittelt. In diesem Alter galt man damals als arbeitsfähig.

 

Ein Glück, dass sich Luise, die Köchin des Hauses ihrer annimmt und Emmy etwas die Angst vor der Großstadt nimmt. Und da gibt es auch noch Hauke, den von sich selbst überzeugten Sohn aus gutem Hause, der Emmy unter seine Fittiche nimmt und ihr so einiges zeigt. Schon bald sind die beiden ein Paar - zur damaligen Zeit ein Skandal, da die Beziehung nicht standesgemäß ist. Sehr zum Leidwesen von Haukes herrischer Mutter wird Emmy dann auch noch schwanger. Auch wenn es zu dieser Zeit als Versagen gilt, ein Mädchen zur Welt zu bringen, ist Hilde ihr großes Glück.

 

Es folgt mit Sohn Otto wenig später endlich ein Stammhalter und die Schwiegermutter scheint kurzzeitig besänftigt. Dennoch scheint Emmy zunehmend auch für Hauke immer noch die Dienstbotin zu sein und wird entsprechend schlecht behandelt. Bis sie es eines Tages nicht mehr aushält, die Kinder und ihre Siebensachen packt und zu ihrer Freundin Marianne zieht. Diese lebt mit Mann und Sohn zwar auch sehr beengt, aber die drei werden herzlich aufgenommen. In den Wirren der Kriegsjahre wird sich diese Schicksalsgemeinschaft für alle Seiten noch als sehr vorteilhaft herausstellen. Auch als Tessa, das Kind Nummer drei zur Welt kommt und nicht klar ist, ob Mutter und Kind überleben werden.
 
Emmy ist bewusst, dass sich ihr erfülltes Leben bald dem Ende zuneigt und sie hadert damit auch nicht. Im Gegenteil. Als ihr der Arzt mitteilt, dass sie einen Herzschrittmacher braucht, lehnt sie dies vehement ab und sagt ihm, er solle sich lieber um seine sterbenden Topfpflanzen kümmern. Sie hätte ein gutes Leben gehabt und es sei eine biologische Notwendigkeit, dass man in einem gewissen Alter sterben müsse. Ihren Kindern erzählt Emmy davon natürlich nichts. Doch denen ist auch so bewusst, dass die Mutter nun in einem Alter ist, in dem man sich mit dem Thema Sterben auseinandersetzen muss. Wenn es nach der ältesten Tochter Hilde geht, kann es nicht schaden, schon vorab ein bisschen zu entrümpeln. Ohne der Mutter davon zu erzählen, sieht sich Hilde in den Kellerräumen um. Dabei stößt sie auf uralte Grundbuchauszüge, nach denen Emmy offenbar einige Liegenschaften in Potsdam gehören sollen. Ist ihre Mutter, die ihr ganzes Leben lang in so bescheidenen Verhältnissen gelebt hat, etwa eine reiche Frau? Und warum hat Emmy nie etwas davon erzählt? Oder ist Hilde, die sich ohnehin immer für benachteiligt hält, unter den Geschwistern etwa die einzige, die bisher nichts davon wusste? Zwischen Emmy und ihren Kindern scheint es noch sehr viele Dinge zu geben, die ein für alle Mal geklärt werden müssen.
 
Mit 'Sturmvögel' erzählt Manuela Golz die Geschichte ihrer eigenen Großmutter, denn das Buch beruht auf wahren Begebenheiten. Dies zeigt sich auch in der äußerst warmherzigen und liebevollen Erzählweise der Autorin, die allerdings nie ins Kitschige abdriftet. Von der erzählten Gegenwart springt die Autorin immer wieder zurück in die Vergangenheit und damit in Emmys bewegtes Leben. Dieser Wechsel trägt dazu bei, dass das Buch relativ schnell Sogwirkung entfaltet und man es gar nicht wieder aus der Hand legen möchte.
 
Fazit: eine absolut lesenswerte, berührende und noch dazu wunderschön geschriebene Geschichte über das Leben einer starken Frau.

 

Sonja Kraus

5 Sterne
5 von 5

© 2021 Sonja Kraus, Harald Kloth

 

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