Roman
Hamburg ; Rowohlt ; 2021 ; 288 Seiten ; ISBN: 978-3-498-00198-8
Wer kennt das nicht als Mann im „Mittelalter“: Man beginnt über sein bisheriges Leben zu reflektieren, über das beruflich erreichte, Familie und Kinder, aber noch viel mehr über den IST-Zustand, also wie ist aktuell das Liebesleben, die berufliche Perspektive, wie abwechslungsreich und attraktiv die Freizeitgestaltung, wie sind die Pläne für die Zukunft. Glaubt man den unterschiedlichsten Studien führt das nur in den seltensten Fällen zu einem positiven Blick auf sich selbst, stattdessen würde man mit der berühmten „Wisdom of Hindsight“ vieles anders machen. Die im Beruf Erfolgreichen sind meist mangels Zeit mit ihrer privaten Situation unzufrieden und umgekehrt.
Nun gibt es verschiedene Optionen, daraus das für sich Richtige zu schlussfolgern: die einen fügen sich ihrem Schicksal und bleiben nach dem Motto „da weiß ich, was ich habe oder eben nicht habe“ in ihrem Trott, andere drehen nur an einer Stellschraube, z.B. Beruf, und erhoffen sich so Besserung und mehr Frohsinn, andere wiederum stellen ihr Leben in allen Bereichen wohl durchdacht ausgewogen und vor allem langfristig nachhaltig um, und wieder andere gehen das Thema überstürzt an, verfallen einer viel jüngeren Frau, geben sich selbst 20 Jahre jünger, versuchen allgemein, „alte Zöpfe“ abzuschneiden, um aus ihrem eingemauerten Dasein auszubrechen – das ist dann wohl die klassische „Midlife Crisis“.
Letzteres durchlebt der Protagonist im neuesten Roman von Heinz Strunk: "Es ist immer so schön mit Dir". Und um es vorwegzunehmen, Strunk, renommierter Autor (… und nebenbei u.a. noch Musiker, Hörspielproduzent und Schauspieler), der sich ganz nebenbei erst seit 1992 so nennt und bürgerlich Mathias Halfpape heißt, gelingt fünf Jahre nach seinem letzten prämierten und auch verfilmten Roman “Der goldene Handschuh“ mit einem ganz unterschiedlichem Inhalt erneut ein Bestseller. Bei Männern geht es nicht allein ums Wollen. Nein, es geht ums Brauchen! Aber können Sie vor allem auch? So einfach könnte man das Buch zusammenfassen.
Der Hauptdarsteller in Strunks Buch hat nicht einmal einen Namen, so als stünde er jederzeit austauschbar zig-fach für alle Männer in dieser Lebensphase. Der Roman teilt sich in 23 unterschiedliche Kapitel und wird aus Sicht des „Helden“ erzählt, gewürzt mit seinen jeweiligen Gedanken zu den unterschiedlichsten Erlebnissen und Begegnungen. Er ist Mitte 40 und arbeitet nach einer wenig erfolgreichen Karriere als Musiker (seine anfänglich beliebte Band löste sich bei Erscheinen des dritten Albums nach 10 Jahren an seinem 32. Geburtstag auf) nun als Toningenieur, der u.a. Hörspiele schneidet und vertont. Er lebt, wenn auch in getrennten Haushalten, mit Julia in einer sexuell langweiligen und auch ansonsten wenig belebenden Beziehung. Für ihn gibt sie sich mit der „Banalität des Alltags“ zufrieden, sie hat „den Wunsch, … ein neues Gefühl zu entdecken, … verschwinden lassen, … ausgetrickst“! Jedes der Wochenenden der letzten Monate, ach Jahre, läuft eigentlich gleich (langweilig) ab und etwaige „Kicks“ sind eher unwahrscheinlich – „und täglich grüßt das Murmeltier“ möchte man da sagen. Er selbst beschreibt das als natürlichen Verlauf einer Beziehung, „aus Liebe, Sex und Zärtlichkeit wird Liebe, Kuscheln, Zärtlichkeit und schließlich Freundschaft, Nähe, Gemütlichkeit“.
Manche Leute leben gerade so, als würden sie noch eine zweite Chance auf ein anderes Leben bekommen, um cool oder reich zu werden oder dann auch immerzu guten Sex zu haben. Deshalb kann man sich im jetzigen Leben auch ein wenig hängen lassen. Das sieht unser Hauptdarsteller anders. Im Spiegel betrachtet, sieht er fast schon narzisstisch nur seine (für ihn verwelkten aber grundsätzlich attraktiven) äußeren Werte, ignoriert sein Seelenleben, also was ihm eigentlich gut tun würde und tauscht Julia gegen die wesentlich jüngere, sehr attraktive Vanessa aus, eine von sich überzeugte, aber erfolglose Schauspielerin mit starkem Hang zu Magersucht.
Von nun an werden wir völlig vereinnahmt von den Gedankengängen „unseres Helden“, der verliebt, aber total verunsichert erst in und dann durch diese Beziehung stolpert. Erst macht sie ihn an, ignoriert ihn dann wieder, hält ihm eine Karotte hin, um sie ihm im nächsten Moment wieder wegzuziehen, antwortet tagelang auf seine Nachrichten nicht, um ihm dann doch zu sagen, dass sie eine richtige Beziehung will und auch schon haben. Er ist hochgradig verwirrt und gleichermaßen eifersüchtig und entwickelt eine Art „negatives Kopfkino“. Selbst wenn sie als Hostess nur auf der Internationalen Fachmesse für Gastronomie und Hotellerie (für ihn Sauf- und Fressmesse) arbeitet, sieht er in seinen Vorstellungen, wie sie es mit Standbetreibern gleich hinter dem Tresen treibt (deshalb für ihn eher Bums- & Sexmesse!). Wenn sie sich immer wieder in ein und derselben Bar treffen, hat er beim Aufhängen seiner Jacke stets das Gefühl, sein Selbstbewusstsein mit aufzuhängen. Sensibel versucht er jegliche verbalen und gestischen Fettnäpfchen zu vermeiden, um dann doch immer wieder hineinzutappen.
Trotzdem genießt er jeden noch so kurzen Moment mit Vanessa, redet sich ein, eine halbe Stunde für kurzen aber intensiven Sex hätten eine Ewigkeit gedauert. Küsse mit Vanessa sind die unglaublichsten Küsse seines Lebens, so sehr dürstet er nach „körperlicher Bestätigung“, sprich, er sieht sich noch lange nicht zum alten Eisen gehörend. Er ist quasi überzeugt, dass der Wunsch von dem Menschen begehrt zu werden, den man gerade für den allerattraktivsten hält, ein elementarer Trieb des Mannes ist.
Sie ist mal da, dann wieder weg, ohne zu sagen oder über einen Messenger zu schreiben wo und für wie lange, sie isst kaum, raucht dafür umso mehr - ja und er trinkt hingegen deutlich zu viel. „Betrunken sein heißt, nicht an den Fragen zu verzweifeln, auf die es keine Antworten gibt“, so seine Theorie. Man weiß gar nicht, wer der kaputtere Mensch unter den Beiden ist. So richtig finden sie nicht zueinander. Sie möchte gerne Kinder, irgendwo in der ländlichen Idylle häuslich werden, er eher nicht, obwohl gerade er jetzt das Alter dafür hätte. Dann lässt er sich mit einer List von Julia, seiner Ex, zu einem nochmaligen Schäferstündchen hinreißen. Vanessa stellt ihn zur Rede, er gesteht und sie scheint ihm zu verzeihen, ja, scheint aber lediglich. Sie reden sich trotzdem ein, sie passen sehr gut zusammen und geben sich in einem der wenigen wirklich romantischen Momenten das Heiratsversprechen. Von diesem Moment an zerbröckelt nach und nach endgültig das Fundament der Liebe (sofern es das je gab), insbesondere als er in den Geburtstag seiner Zukünftigen ausgerechnet mit ihrem besten Freund Tobi so bis zum Exzess hineinfeiert, dass er nicht in der Lage ist, mit ihr am nächsten Vormittag zusammen zu der groß organisierten eigentlichen Geburtstagsfeier in einem eigens angemieteten Lokal zu folgen. „Tobi: das unvorhergesehene Ereignis, das unberechenbare Risiko, der dumme Zufall, die Laune des Schicksal, die ihm das Genick brechen wird.“
Sich einen „Aufgewärmten“ angetrunken, eskaliert alles dann bei der Feier, bei er eh schon zu spät erscheint, in einem Wortgefecht mit Vanessas Schwester. Als das „Liebespaar“ dann schließlich alleine am Zimmer ist, sich umarmen, denkt er, sie sehen aus wie zwei Behinderte, die sich das Umarmen von Nichtbehinderten abgeguckt haben. Dick und Doof in Hildesheim! In der Folge fließen nur noch Sturzbäche an Tränen, sie sind ein Verlierer Team, bei dem minus mal minus auch immer nur minus ergibt. Alles weitere kann man sich denken – Trennung! Der „Held“ hat schließlich nichts gelernt, wird zum Party Animal und schnappt sich ein neues junges Spielzeug, aus Vanessa wird Jenny. Er geht aus, feiert, hat Sex und sitzt eben nicht „altersgerecht“ gemütlich Zuhause und erleichtert sich gelegentlich manuell – ihm geht’s so gut, es ist so schön mit mir, glaubt er zumindest.
Das Buch lebt von den Beschreibungen einer an sich absurden Beziehung und den sarkastischen Gedankengänge zu „Gott und die Welt“. Diese humoristische Mixtur machen das Buch so lesenswert. So hat eine Frau für ihn keinen Haarschnitt, sondern eine Versammlung, spraybetonierter Frisuren auf einem einzigen Kopf! Für die etwas „wohlbeleibten“ Lesern sei gesagt: ja, der Held hat Vorurteile gegenüber dickere Menschen, die nimmt er sich in seiner Gedankenwelt mehrmals besonders vor, aber so was muss man halt dann mit Humor nehmen können.
Die Liebe ist eigentlich ein auf und ab, mal Genuss, aber auch mal Leiden, nur hier ist es eher ein Dauerleiden. Sprachlich ist das Buch einfach genial! Sätze und Gedanken in einer Bar wie „… Eine neue Bedienung, Schichtwechsel. Farblos wie eine Maus und massig wie ein Pudding. Als sie sich vorbeugt, riecht es nach kaltem Schweiß. Er findet sie sofort sympathisch. Herrlich das sie hier arbeitet…“ oder „… es sieht aus als hätte es keine Arme, keine Beine, keinen Hals, ein kompakter Block aus Fleisch; Brust und Bauch zu einem Fettkübel verschmolzen. Es könnte sich um eine alte, kranke Schildkröte handeln …, die man aus ihrem Gehäuse gezogen hat, … aber wenn man sich die Mühe macht, genau hinzuschauen, erkennt man, dass es eine Frau ist…“ gibt es Zuhauf in dem Buch und unterstreichen den sarkastischen Grundtenor.
Sollte es die Intention gewesen sein, die unterschiedlichen Arten und Formen sowie Vorstellungen über das Begehren von Männern tiefer zu ergründen, muss man sehr zwischen den Zeilen lesen. Oberflächlich scheint das Buch erst ein Gegentrend zu der derzeitigen „Me Too“ Diskussion zu sein, aber der „Anti-Held“ lebt nur vordergründig in Taten und vor allem auch Gedanken seine männliche Machtposition gegenüber die ihm über den Weg laufenden Frauen aus. Also bei näherem Hinsehen weit gefehlt: Es geht eigentlich darum, wie sich Männer grundsätzlich selbst durch ihr Verhalten in eine derartige, verständlicherweise missliche Lage bringen, wie Männer zu einer fremdbestimmten Person ihres eigene Egos werden, man fühlt sich irgendwie zuständig für die (sexuelle) Sehnsuchtsbefriedigung von Frauen, übersieht aber die Auswirkungen auf eigenen eigentlichen unbefriedigten Sehnsüchte. Manchmal möchte man dem „Helden“ helfen, soufflieren, was er tun soll oder ihm einen Tritt in den Hintern versetzen, ihm die Augen öffnen, aber er läuft auch sehenden Auges in die eigene persönliche Katastrophe. Der Mensch ist für ihn Opfer seiner Sexualität, dass sich unaufhörlich unter dem Höllenfeuer windet, was ihm die Lenden leckt! … und er ist das größte Opfer!
Der Roman ist gespickt mit teils augenöffnenden Aussagen, oft humorvoll, aber auch genauso oft traurig stimmend. Bei den in dem Buch so zahlreich vorkommenden Weisheiten wie „ein neuer Oldie Sender, der vierundzwanzig Stunden am Tag tote Teenagersongs aus untergegangenen Zeiten versendet“, muss man oft schmunzeln und findet sich teils selbst wieder. Laut Strunk fasst er mit dem Roman eigene Erfahrungen aus 40 Jahren Liebesleben sowie Beobachtungen anderer Menschen zusammen – und, der Autor kann sehr gut beobachten und dies dann pointiert zu Papier bringen. Sollten Gleichaltrige das Buch lesen, kann man sich trösten, dass man offensichtlich nicht alleine mit seinen Lebensreflexionen und auf Lösungssuche ist. Aber man kann nicht vor allem flüchten, flüchten in etwas nur vermeintlich und kurzfristig Besserung Versprechendem und überhaupt kann man vor einem gar nicht flüchten – das ist vor einem selbst!
Wenn man sich selbst den Spiegel vor die Augen hält, sollte man sich nicht auf das Äußere fokussieren, was einen primär anspricht, sondern intensiv forschen, was sich dahinter verbirgt, wie sich das Seelenleben gestaltet. Strunks Hauptdarsteller kann wunderbar seine Umgebung beobachten, sie analysieren, voller Sarkasmus sezieren, aber ihm geling es nicht daraus das „so what“ abzuleiten für einen eigenes selbstbestimmteres und selbstbewussteres Leben. So folgt dann auch für den frustrierten Helden der Middle Class erst eine Phase himmelhochjauchzender Liebe und Begehrens, um dann, so wie schon sein ganzes Leben lang, eine Beziehung im Mittelmaß oder noch tiefer verschwinden zu lassen.
Anstelle sich mit seinem Ausbruch aus der Langeweile namens Julia alle Sehnsüchte zu erfüllen, endet alles im totalen Frust. Liebe kann bei Strunk wie eine Stierkampfarena sein, positiv wild wie der anfänglich knisternde Sex mit Vanessa aber auch tödlich endend, wenn der Stier seine Hörner abgestoßen hat und auch die Selbstliebe stirbt… da bleibt mir nur noch jeden, der ähnliches erlebt oder erlebt hat, Charlie Chaplins berühmtes Gedicht „als ich mich selbst zu lieben begann ….“ zu empfehlen.
Fazit: Bei Männern geht es nicht allein ums Wollen. Nein, es geht ums Brauchen! Aber können Sie vor allem auch?
Andreas Pickel
© 2021 Andreas Pickel, Harald Kloth, Cover: Copyright © Rowohlt Verlag