Christian Seiler: André Heller

Feuerkopf. Die Biografie

München ; Bertelsmann ; 447 Seiten ; 2012 ; ISBN 3-570-10063-4

 

Als einer, der wie ich Ende der 60er Jahre geboren ist, war André Heller sicherlich ein Begriff. Seine Konzerte, Circus Roncalli, Flic Flac und die begnadeten Körper, wer aus meiner Generation kennt das nicht. Doch in dem Frühstücksgespräch ging es weniger um seine großen Projekte, es ging um den Menschen, um die Geschichte seiner Jugend, seiner Entwicklung, wie er zu dem wurde, was er jetzt ist. Ja, was ist André Heller eigentlich? In seinem Pass stand seit Ende der 60er Jahre „Poet“, aber eigentlich war er eine Person ohne festen Beruf! Christian Seiler, der Autor seiner Biografie beschreibt ihn als „Schriftsteller und Theaterautor, Regisseur und Bühnenbildner, Maler und Impresario, Dokumentarfilmer und Schauspieler, Zirkusdirektor und Sänger, politischer Aktivist und Lebensberater, Weltreisender und Gartenkünstler, Showdirigent und Geschäftsmann, Ausstellungsmacher und Bildhauer, Komponist und Feuerwerker, Vater und Liebhaber“. Wie auch immer, dieses Frühstücksgespräch, diese Gedanken faszinierten so, dass man davon besessen sein musste, mehr über den Menschen Heller zu erfahren, seine Biografie zu lesen. Und um es vorwegzunehmen, Christian Seiler, der als Verleger bereits mit der Biografie über den Kapitän der Fußballnationalmannschaft, Phillip Lahm, einen Bestseller herausbrachte, ist mit seiner Heller-Biografie etwas Großartiges gelungen, ein in jeder Hinsicht beeindruckendes Buch über einen willensstarken Mann.

 

Francis Charles George Jean André Heller-Huart wurde am 22. März 1947 als Sohn eines konvertierten jüdischen Schokoladen- und Zuckerwarenfabrikanten, also in recht wohlhabender Umgebung, geboren. Die Weichen für ein alles andere als „übliches“ Leben wurden wohl schon bei seiner Zeugung im französischen Montreux gelegt, laut Heller soll erst ein Erdbeben dafür gesorgt haben dass sein Vater einen Orgasmus bekam – bereits die eigene Entstehung war also ein Naturereignis. Seine Eltern und damit seine Erziehung waren absolut gegensätzlich, ambivalent, Seiler nutzt den Begriff skurril: Sein Vater absolut Nazi-feindlich, bekämpfte das Dritte Reich, seine Mutter arbeitete gegen Ende des Krieges für einen General der Wehrmacht in Frankreich. Da weder Vater noch Mutter unbedingte Muse für die Erziehung des Sprösslings aufbrachten, wuchs er bei seiner Großmutter, der „Pieps“ auf, die ihn in allen Facetten auf das Leben vorbreitete, ihn das machen ließ, was er wollte, nämlich kreativ sein und die ihn auch in die Kreise einführte, die ihn später begleiten sollten, ob nun positiv oder negativ. „Die Großmutter war mein Atlas, sie war mein Geschichtsbuch und mein Kunstgeschichtslexikon,“ so Heller. Sein Verhältnis zu seinem Vater dagegen war mehr als schlecht, er durfte nicht so sein, wie er wollte, er fürchtete ihn, seine Ausbrüche und düstere Stimmungen, dessen früher Tod war für ihn eine Befreiung, wo andere in seinem Alter eher eine Belastung sehen. „Er ist gestorben, weil ich das gebraucht habe … dass ich mein Ruhe vor ihm habe“, sagt Heller.

 

Heller war ein wissbegieriger Junge, wollte überall und von jedem lernen, nur in der Schule nicht. Er war ein schlechter, äußerst aufsässiger Schüler, der oft Prügel bezog, auch von Mitschülern. Er verließ früh die Schule und versuchte sich lieber an Schauspielschulen. Trotzdem mangelnde es ihm nicht an dem notwendigen Selbstbewusstsein, er war sich sicher, dass er das Richtige tat. „Ich warte, bis ich berühmt bin“, sagte er einst zu seiner Mutter, als er auf der Couch lag und las, anstelle zu lernen. Besonders das Café Hawelka, das Biotop aller Künstler, wo er schon in jungen Jahren regelmäßig verkehrte, hatte es ihm angetan, er hatte dort mehrere Mentoren, das Hawelka wurde so etwas wie seine Privatuniversität. Nur hier konnte er seinen hohen Ansprüchen entsprechend von den besten Dichtern, Malern, Liedermachern und Filmemachern, von den „großen Geistern“ lernen. Dem Wehrdienst in der französischen Armee dagegen entkam er, indem er bei der Musterung einfach vorspielte, weder französisch noch ein verständliches Deutsch zu sprechen. Finten brachten ihn durchs Leben. Bereits in seiner Jugend wurde einer seiner späteren wesentlichen Charakterzüge deutlich: Seine Sturheit in allen Belangen. Sah er etwas als sinnlos an, wie die meisten Schulfächer oder Erziehungsmethoden, in der Schule oder auch zuhause, dann blockte er und ertrug eisern alle Repressionen. Interessierte ihn etwas, stürzte er sich mit einem unglaublichen Enthusiasmus darauf, bohrte nach, stellte Fragen, solange, bis sein Wissensdurst befriedigt war. Auch sein Hang zur Selbstdarstellung war damals schon prägend.

 

Am 1. Oktober 1967 moderierte Heller seine erste Radiosendung, die Musicbox, mit der er berühmt, ein Star wurde. Das gesamte „Who is who“ der Popmusik gab sich bald bei ihm ein Stelldichein. Die Dinge fügten sich in seinem Interesse. 1968, erst knapp 21 Jahre alt, heiratete Heller das erste Mal, die Schauspielerin Erika Pluhar. Bald wurde er auch als Liedermacher bekannt, seine Schallplatten schafften es schnell bis an die Spitze der Hitparaden. Und das, obwohl seine Musik gegen den gängigen Mainstream war, es waren Chansons mit Orchester, die sich nur um ihn drehten. Seine Konzerte waren stets ein Erlebnis, unberechenbar, auf der Bühne stand er wie unter Strom, oft trat die Musik in den Hintergrund und er lieferte sich stattdessen ironische Dialoge mit dem Publikum. 1982 bereits gab er allerdings sein letztes Konzert. Die Routine der Konzerte war ihm zuwider. „Mich machte der Zwang, Konzerte geben zu müssen, schöpferisch impotent“, so Heller. 1972 folgte sein erster Film mit dem Titel „Wer war Heller?“. Die Kritiken waren nicht besonders, aber dem Publikum gefiel der Film. Heller wollte zur damaligen Zeit verletzen und geliebt werden. Dies war ihm sowohl in einen Liedern wie im Film gelungen.

 

Bereits im Café Hawelka und auch später zeigte sich, dass André Heller ein Nachtmensch war. Nicht selten ging er erst gegen 6 ins Bett und verließ es erst am Nachmittag. Gerade der Umgang mit dem Schauspieler Helmut Qualtinger, einem Alkoholiker, war seiner Gesundheit nicht gerade förderlich, bereits zum späten Frühstück gab es Bier und Qualtinger brauchte paar Fernet „zum Mageneinrenken“. Erst seit einer Gelbsucht kurz nach seiner Hochzeit entsagte Heller dem Alkohol. Allerdings war er lange Zeit drogenabhängig, ohne das Schlafmittel Mozambin konnte er nicht kreativ, euphorisch sein und ständig 100% fahre. Eine andere Abhängigkeit war die vom weiblichen Geschlecht. Frauen konsumierte er wie Drogen. Im Umgang mit Frauen war er einerseits äußerst charmant, andererseits eitel und launisch, eine Frau sprang für ihn sogar in den Tod. Heller selbst bezeichnete sich diesbezüglich als „brachial verantwortungslos“.

 

Natürlich war er als Mann im Rampenlicht auch politisch aktiv und hatte als Publikumsmagnet erheblichen Einfluss. Zunächst in der Friedensbewegung tätig, dann in der Anti-Atomkraft, später Ökologie, Anti-Ausländerhass Haiders, Aktion Lichtermeer. Dabei sah er auch Massenveranstaltungen, die für ihn jeweils eine Inszenierung waren, das beste Mittel, seinen Willen auszudrücken.

 

Richtig bekannt wurde Heller aber mit seinen großen Projekten, die oftmals monatelanger Vorbereitung bedurften. Es begann 1976 mit Circus Roncalli, erst verteufelt, dann aber in München einen riesen Publikumserfolg, Roncalli wurde Kult. Allerdings durch Hellers Egoismus und Selbstdarstellungstrieb scheiterte das Projekt und er blieb auf erheblichen Schulden sitzen. 1981 folgte das Varieté „Flic Flac“, welches ein großer Publikums- und auch finanzieller Erfolg wurde, 1983 in Lissabon und 1984 in Berlin dann die Feuertheater.

 

Weltweit bekannt wurde er mit den begnadete Körper, die im Oktober 1985 in München Premiere hatten. Bei einer Reise nach China war er so beeindruckt von Artistenübungen von unglaublicher Schwierigkeit, ohne, dass Anstrengungen erkennbar gewesen wären. Mit nimmermüdem Einsatz holte er die besten Artisten nach Europa und präsentierte eine umjubelte Show mit mehreren Auflagen. Bis 1997 blieb Heller an den Einspielergebnissen beteiligt; er verdiente zum ersten Mal mehr, als er brauchte und konnte auch Reserven für kostenintensive Folgeprojekte schaffen.

 

Weitere große Projekte folgten, wie der Kunstrummel „Luna Luna“, bei dem er erneut nur die Besten der Besten für das Projekt gewinnen konnte oder die Revue „Body and soul“, anfänglich sehr erfolgreich, aber als ihm die „Weather Girls“, die er selbst verpflichtete, die Show schmissen, warf er komplett hin. Oder auch die Fußball-WM 2006 in Deutschland, als er sich für das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“, dieEröffnungsfeier und dem Großteil des Rahmenprogrammsverantwortlich zeigte.

 

Aber Heller hatte nicht nur wechselnde Projekte. So schuf er die Kristallwelten von Swarowski in Wattens, die schnell nach ihrer Eröffnung am 1. Oktober 1995 zum Publikumsmagneten wurden und nach dem Schloss Schönbrunn in Wien zumbeliebtesten Tourismusziel Österreichs gelten. Eine Konstante in seinem Leben war auch der Schriftsteller Heller. Dabei treten in all seinen Büchern die eigene Biografie in der einen oder anderen Art und Weise auf.

 

Aber auch privat hat er sich oder schafft sich noch zwei Denkmäler, Denkmäler, so Heller, die er nicht geerbt hatte, sondern durch selbst verdientes Geld aufbaute. Das ist ihm wichtig. Einmal ein wunderschöner Garten in Gardone am Gardasee, der „Fondazione Heller“, bei der er die Gärtner zwar nicht zum Wahnsinn, aber mit seiner Akribie und seiner Sturheit zur Kündigung trieb. Und dann ein Landschaftsprojekt, einen subtropischer Garten in Marokko, in der Nähe von Marrakesch, ca. 8ha groß. „Ich habe für andere gebaut, aber bisher nie für mich“, so sein Rational. Die Anlage mit dem Namen Anima (=Seele) besteht aus einem riesigem Haus mit einem beeindruckenden Garten mit Gewächsen, die er aus der ganzen Welt zusammensuchte. Dieses Denkmal wird eine immerwährende Baustelle bleiben. Heller selbst sagt: „Ich werde den Anima-Pak in diesem Leben nicht in all seiner Pracht und Herrlichkeit sehen, weil man ihm Jahrzehnte Entwicklung gönnen muss ... aber ich rieche schon jetzt das Wunder ..."

 

Aber er schuf sich auch ein Denkmal aus Fleisch und Blut, 1988 mit der Geburt seines Sohnes Ferdinand, einem vor allem in Amerika als „Left Boy“ sehr erfolgreichen DJ und Beatboxer. Alles was seine Eltern an ihm falsch gemacht hatten, wollte er anders machen, es war eine entgegengesetzte Erziehung zu seiner eignen. Er gab Ferdinand viele Freiheiten, glaubte an ihn und dieser erwiderte das Vertrauen. André Heller wurde für Ferdi die erste Bezugsperson, er redete mit ihm über alles, über Freude und Schmerzen…anders als mit seinem eigenen Vater. Er war nun die „Pieps“ und zum ersten Mal im Leben empfindet Heller bedingungslose Liebe.

 

Das Buch hat ohne Zweifel seine Stärken in der ersten Hälfte, den jungen Heller beschreibend. Es ist faszinierend zu lesen, was man, wenn man stur mit einem klaren Willen und Ziel vor Augen gegen alle Widerstände, gegen „was ist schick, en Vogue“, alles erreichen kann. Er wollte nur von den Besten lernen. Trotzdem ist er in der Retrospektive selbstkritisch genug. Er fühlte sich in vielen Situationen unfähig, das Richtige zu tun. Aber weniger, weil er nicht andere von seinem Tun überzeugen konnte, sondern eher weil er ab und an selbst mit sich selbst nicht schlüssig war, in seiner Psyche ein innerer Kampf stattfand. Er konnte sich stundelang mit sich selbst beschäftigen und entwickelte eine Idee nach der anderen. Nicht ganz so interessant sind meines Erachtens die detaillierten Beschreibungen seiner ganzen Projekte, sicherlich wichtig für seine Biografie, aber etwas langatmig. Aber auch hier wird immer wieder deutlich sein Drang zur Perfektion, der unbedingte Willen aus allem und jedem und vor allem aus sich das Bestmögliche herauszuholen. Heller hatte nie Zweifel daran dass er in der Lage sein würde, überall auf der Welt nachhaltige Spuren zu hinterlassen. Dies zeigte sich z. B. 1991 als er in Indien für den Sohn des Maharana von Udaipur ein gigantisches Privattheater auf die Beine stellte. Aber dieser Perfektionsdrang, Stress, ständig unter Strom stehen führte schließlich auch zu gravierenden gesundheitlichen, physischen wie psychischen, Problemen und dessen Beschreibungen sind besonders lesenswert (Kapitel „Phase der Verstörung 1997 bis 2004“). Heller selbst sah sich eher in einem Zustand, als „einen Erkenntnisvorgang, der mir plötzlich das gesamte Elend und die Überforderung der Person André Hellers vor Augen führte.“ Es war Zahltag für seinen Körper", den er so vernachlässigt und geschädigt hatte.

 

Die Faszination des Buches liegt vor allem darin, dass die gesamte Geschichte in einer Art „Ich-Form“ aus der Perspektive von Heller geschildert wird. Hier erkennt man die absolute Nähe, den absoluten Zugang von Seiler zu Heller und anders herum auch das absolute Vertrauen, nichts außen vor zu lassen, auch wenn so manches sicherlich nicht leicht fiel, erneut aufzuarbeiten. Seiler befragte nicht nur Befürworter, sondern auch absolute Widersacher Hellers, das macht die Biografie so authentisch. Teils mit Humor verbindet der Autor in den ersten Kapiteln die Gefühle und Denkweise eines Kindes, später heranwachsenden und in der Schule rebellierenden Jungen mit den insbesondere kulturellen Geschehnissen seiner Zeit. Das ständige Suchen von Heller nach Anerkennung, das Streben nach Perfektion und der damit verbundene Versuch der vollständigen Vereinnahmung seiner Umgebung fesseln gleichermaßen. Er war und ist Egomane und Zauberer zugleich. „Ich habe mich bemüht, kein Arschloch zu sei, trotzdem ist es mir in einigen Abschnitten meines Lebens nicht gelungen“, so Heller heute etwas einsichtiger.

 

Das Leben Hellers zeigt, gegen den Strom schwimmen ist vielleicht (… und gerade in der heutigen Zeit) nicht opportun, aber führt schließlich zu Lebens- und Berufszufriedenheit und vor allem, man kann sich jeden Abend zufrieden in den Spiegel schauen. Man darf sich nicht verbiegen, nur um es anderen Recht zu machen, so die Botschaft Seilers ... und damit Hellers.

 

Fazit: Die Biografie von Seiler ist sprachlich ein absoluter Genuss, teils voller Ironie. Dies liegt aber auch am „Feuerkopf“, der natürlich sehr oft zitiert wird. Insgesamt eine eindrucksvolle, vor allem gefühlvolle Darstellung des Lebens von André Heller. Für alle, die am Scheitelpunkt ihres Lebens stehen oder noch auf der Suche nach Ihrer Identität befinden, ist das Buch wärmstens zu empfehlen.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

© 2012 Andreas Pickel, Harald Kloth

Werbung | Die mit * gekennzeichneten Links sind sogenannte Affiliate Links. Kommt über einen solchen externen Link ein Einkauf zustande, wird der Betreiber dieser Website mit einer Provision beteiligt. Für Sie enstehen dabei keine Mehrkosten.

Christian Seiler: André Heller. Feuerkopf *Hardcover bei amazon.de
*Kindle bei amazon.de