György Dalos

1956

Der Aufstand in Ungarn

„Ungarisches Volk! Die Nationalregierung, erfüllt von tiefem Verantwortungsgefühl gegenüber dem ungarischem Volk und der Geschichte, erklärt die Neutralität der Ungarischen Volksrepublik ...“

 

Am 1. November 1956 erklärt der ungarische Ministerpräsident Imre Nagy (gesprochen: Nodsch) den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt. Am 3. November kam es zur Bildung einer Gegenregierung unter János Kádár und nur einen Tag später rücken sowjetische Truppen in Budapest ein, um den seit 23. Oktober aufschwellenden Aufstand niederzuschlagen. Am 12. November ist Imre Nagy offiziell abgesetzt. Er wird am 22. November trotz Zusicherung freien Geleit festgenommen, nach Rumänien verbracht und schließlich 1958 in Budapest hingerichtet. 1957 wird der Aufstand durch ungarische Sicherheitskräfte und sowjetischen Truppen endgültig blutig niedergeschlagen, cirka 200.000 Menschen flüchteten aus Angst vor Repressalien. Der Aufstand in Ungarn war gescheitert. Soviel zu den trockenen Fakten.

 

Die Gründe die zu diesem Aufstand führten, dessen genauer Verlauf, die Schicksale der Menschen sind nun in einem hervorragenden Buch von György Dalos 1956 - Der Aufstand in Ungarn erschienen.

 

Nach dem Tod Stalins am 5. März 1953, verfolgte die Sowjetunion eine generelle Abkehr der bisherigen Politik der Unterdrückung, die sich auch auf Ungarn auswirkte und in dessen Folge Imre Nagy als treibende Kraft der Neuausrichtung zum Ministerpräsidenten ernannt wurde. Aufgrund innenpolitischer Intrigen wurde er jedoch bereits knapp zwei Jahre später aus seinem Amt entlassen. Als sich 1956 der innerparteilichen Opposition der Regierungspartei Partei der Werktätigen (MDP) auch Angehörige der ungarischen Intellektuellen und anderer gesellschaftlicher Organisationen anschlossen, nahm das Unglück seinen Lauf. Das als Petöfi-Kreis bezeichnete Hauptforum von Schriftstellern und Studenten bildete zunehmend eine starke Front gegen den neuen Regierungschef Rakosi, so dass dieser auf Druck der Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) durch Ernö Gerö ersetzt wurde. Dieser wiederum wurde am 23. Oktober erneut durch Nagy abgelöst. Auch aus Sympathie für die politischen Ereignisse in Polen fanden die Kundgebungen des Petöfi-Kreises zunehmend mehr Anhänger, die sich auch zusehend radikalisierten. Als am 23. Oktober eine gewaltige Demonstration 16 politische Forderungen aufstellte (zum Beispiel den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn), um das Land in die Demokratie zu führen, war schnell klar, dass, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Suez-Krise, der große Bruder Sowjetunion nicht tatenlos zusehen würde.

 

Nach dem Sturz des Stalin-Denkmals und der Einnahme des Radiohauses, scheiterte zunächst am 24. Oktober der Versuch der sowjetischen Streitkräfte, mit ca. 6.000 Mann für Ordnung zu sorgen und die ungarischen Streitkräfte mit Waffen und Gerät zur Selbsthilfe zu befähigen. Der nationale Kampf des ungarischen Volkes gegen die ungeliebten Besatzer war militarisiert. Am 4. November kehrten die Sowjettruppen dann mit einer mächtigen Streitkraft von 60.000 Soldaten zurück, metzelten den Aufstand nieder überall in der Staat verteilt standen Panzer - Budapest brannte. Nicht nur die zerstörten Gebäude, auch die Zahl der Flüchtlinge, die einfach Angst vor dem Danach hatten, erinnerte an traurige Augenblicke ein Jahrzehnt früher. Bis zum Ende der größeren Kampfhandlungen am 11. November kamen ca. 20.000 Ungarn ums Leben.

 

György Dalos, als damals Dreizehnjähriger Zeitzeuge des Aufstandes beschreibt detailliert die täglichen Ereignisse, die Vorgeschichte des Aufstandes und seine Wirkung auf die folgende Zeit. Nachdem Davos zunächst mehr auf der Seite der Aufständischen steht, hat er in den letzten Jahren mehr eine distanzierte und objektive Sichtweise der Abläufe entwickelt. Diese Distanz der Dinge wird auch in seinem Stil deutlich: teilweise ironisch, alles hinterfragend, sich nur auf Fakten verlassend. Von Schwarzem Humor durchzogen sind beispielsweise die Passagen als die malträtierten Ungarn vergeblich auf jegliche Rettungsaktionen des Westens warteten.

 

Davos wechselt gestützt auf erst kürzlich zugänglichen Archiven der ehemaligen Sowjetunion - oftmals den Winkel der Betrachtung von der Kreml-Führung, dem Blickwinkel aus Sicht der sowjetischen Botschaft, der ungarischen Regierungsperspektive und vor allem aus dem Blickwinkel der Bevölkerung. Deutlich wurde vor allem, dass bis zur Maueröffnung 1989 eine öffentliche Diskussion über den Spätherbst 1956 und eine Aufarbeitung der Erinnerungen strikt verboten war. Davos spricht von einer Privatangelegenheit der Nation.

 

Davos Buch besticht durch eine bewegende Darstellung der beiden Hauptakteure Nagy und Kádár. Nagy, Ende Oktober Ministerpräsident, und Kádár als Parteichef waren für kurze Zeit gemeinsam an der Regierung wäre dieser Pakt schon früher eingetreten, dann hätte sich laut Davos das unausweichliche doch vermeiden lassen. Nagy, als zögerlich und unentschlossen geltend, überwand diesen Makel erst, als das ungarische Volk ihn als den aufrechten Patrioten als Revolutionspremierminister nach oben hievte, der in der Krise gesucht war.

 

Absolut widersprüchlich verhält sich aber vor allem Kádár. Zunächst die Politik Nagys gutheißend, tauchte er für kurze Zeit unter, um dann als russischer Protegé wieder zu regieren. Nach außen Kadavergehorsam ausstrahlend, entwickelte er nach und nach eine zumindest nach Innen spürbare eigenständige ungarische Politik (was zum Beispiel auch durch den Erlaß von Amnestien gegen führende Köpfe des Aufstandes). Spätestens in den 70er Jahren vollzog er einen offenen Schwenk weg von Russland hin zu einer Art kommunistischen Demokratie mit Achtung der wichtigsten Grundrechten und Ansätzen von Markwirtschaft, was ihm vor allem auch nach der Wende zu einem der beliebtesten Politiker Ungarns machte.

 

Fazit: Insgesamt ein eindrucksvolle und faktenreiche Darstellung des schwärzesten Kapitels der ungarischen Geschichte, aber vor allem auch eine beeindruckende Verarbeitung der Geschehnisse persönlich für den Autor, stellvertretend für eine ganze Nation.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

 © 2006 Andreas Pickel, Harald Kloth