Am Hang eines Berges im schweizerischen Tessin auf einer Restaurantterrasse beginnt die Geschichte des neuen Romans von Markus Werner.
Hier treffen sich zwei Männer, zwei unterschiedliche Welten, Charaktere und Weltanschauungen: Der junge Scheidungsanwalt Clarin, der Erzähler dieser Geschichte und ein Frauenheld, der über Pfingsten ins Tessin fährt, um in Ruhe einen Artikel für eine Fachzeitschrift zu schreiben, und der ältere, der sich Loos nennt, der "Lehrer für tote Sprachen" ist und dessen heiß geliebte Frau vor einem Jahr auf tragische Wiese hier ums Leben gekommen sein soll, und der seine Trauer darüber zu bewältigen versucht.
Clarin ist ein neugieriger, kontaktfreudiger Mensch und zeigt Interesse an diesem einsamen, traurigen Loos. Er will seine Geschichte erfahren, spricht ihn an und so kommen die beiden ins Gespräch. Ja, es ergibt sich eigentlich eine Debatte mit Dialogen und Monologen über die Frauen, über Treue, Verliebtheit, Leidenschaft aber auch über den Wertezerfall und die geistige Orientierungslosigkeit in der heutigen Welt.
Die Ansichten von Loos erwecken bei Clarin Widerspruch, Zweifel und Unzufriedenheit. Sie ärgern ihn sogar, aber immer wieder faszinieren sie den jungen Anwalt durch ihren Pragmatismus, ihre Logik, sowie Loos Menschenkenntnis und seine Gefühlsstärke. Er hat keine Ruhe mehr, kann nicht arbeiten, ist einfach an diesen Mann gefesselt, und er fürchtet ihn ein wenig, verdächtigt ihn der Schuld am Tode seiner Frau. Die beide Männer verbringen mit diesen Gesprächen zwei Abende, verabreden sich auch für einen dritten Abend. Nun ist der ältere Herr nicht da, er ist abgereist und er heißt gar nicht Loos, der Name ist ja falsch. Es gab auch gar keinen tragischen Unfall, bei dem eine (seine) Frau ums Leben kam. Wer ist Loos? Was wollte er hier? Wer war seine Frau? Wenn sie von ihren Frauen sprachen, Clarin von seiner Geliebten, Loos von seiner Ehefrau, war die Rede von einer und derselben Frau?
Der Leser ist irritiert, was ist nun Wirklichkeit und was ist nur erdacht, erträumt, erwünscht? Es muss alles neu gedacht werden, am besten wäre es, das Buch von vorne noch mal lesen. Das bereits Gelesene bekommt plötzlich eine ganz neue Perspektive.
Zwar findet der Leser die Antwort im Buch, aber es hinterlässt trotzdem einen seltsamen Eindruck, dass etwas abgebrochen ist, eine Fortsetzung folgen und das Entscheidende noch kommen muss.
Fazit: Trotz interessanter Dialoge, die in einer gut fließenden, beeindruckenden Sprache geschrieben sind haut "Am Hang" einen nicht unbedingt um, aber es fordert den Leser zum Nachdenken auf.
Ludmila Hück
© 2005 Ludmila Hück, Harald Kloth