Neuseeland? Ah Neuseeland! Dieser wunderschöne, grüne Inselstaat, der mit seinen beiden Hauptinseln von uns aus gesehen am anderen Ende der Welt liegt. Doch ist dieses Land, mit seinen knapp fünf Millionen Einwohnern, das mehr Schafe als Menschen beherbergt und einen lustigen Vogel, den Kiwi als Nationalsymbol führt wirklich so, wie die landläufigen Klischees behaupten?
Natürlich nicht! Denn dieses "Land der Langen Weißen Wolke hat so viel mehr zu bieten als unberührte Natur, coole Surfer, die Kulisse für den Herrn der Ringe zu sein, freundliche Menschen und den Nationalsport Rugby, mit ihrer Mannschaft, den All Blacks. Und so vielfältig die Natur Neuseelands ist, so vielstimmig ist auch die literarische Landschaft dieser Nation.
18 ausgesuchte Autorinnen und Autoren mit ihren Geschichten aus knapp 50 Jahren gewähren uns in dieser wirklich gelungenen Anthologie einen vielfältigen, teils ungewöhnlichen und absolut spannenden Einblick in die multikulturelle Gesellschaft Neuseelands. Zwei individuelle Merkmale, die bezeichnend für den Neuseeländischen Nationalcharakter sind, stechen noch vor dem erzählerischen Element heraus: der spürbare Hang zum Pragmatischen und das Dokumentarische. Diese literarischen Merkmale bereichern diese literarische Sammlung durchgehend und heben sie von anderen Büchern dieses Genres merklich ab. Hierfür ist vor allem die Erzählung von Kirsten McDougall, Saubere Hände, ein sehr lesenswertes Musterbeispiel.
Doch dieses Buch hat nicht nur Erheiterndes und Vergnügliches zu bieten: Um Themen wie Erinnerung, Authentizität und Generationswechsel kreisen die Storys genauso wie um Ängste, Beklemmung oder tragisches. Hier stechen vor allem Craig Cliffs beunruhigende Erzählung Kopien und Pip Admas Kurzgeschichte Der Kuss heraus. Auch wenn diese beiden Geschichten hier Erwähnung finden, sind die anderen enthaltenen Anekdoten und Darstellungen keineswegs schwächer und verdienten ebenfalls aufgeführt zu werden. Ich kenne kaum eine andere literarische Sammlung, die einerseits für jeden Geschmack etwas zu bieten hat, viele positive Überraschungen bereit hält und andererseits ein derart hohes Niveau durchhält.
Fazit: Diese Anthologie setzt die große Tradition bester englisch-sprachiger Short-Storys fort und ist das beste Beispiel dafür, dass die Kurzgeschichte lebt und keineswegs dem Untergang geweiht ist!
Wolfgang Gonsch
© 2012 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth