John Irving

Bis ich dich finde

Roman

Zürich : Diogenes, 2006. - ISBN: 3-257-06522-1


Sieben Jahre lang arbeitete John Irving an seinem Roman "Bis ich dich finde", der zu einer sehr persönlichen, auf eigenen Erfahrungen beruhende Geschichte wurde. In diesem Buch schildert er den Werdegang von Jack Burns, dessen Vater noch vor seiner Geburt seine Mutter verlassen hat und spurlos verschwunden ist. Jack weiß nur von ihm, dass er ein Organist war, und dass er sich auf dem ganzen Körper Musiknoten tätowieren lassen hat.


Jack ist vier Jahre alt, als seine Mutter beschließt, den Vater zu suchen und so begeben sie sich von Kanada auf eine lange Reise nach Europa, durch Schweden und Norwegen, besuchen verschiedene Häfen und Städte wie Stockholm, Amsterdam und Oslo. Alice, Jacks Mutter, ist eine sehr gute Tätowiererin und verdient so ihr Geld auf dieser Reise. Ihr Mann hinterließ zwar Spuren, aber sie erwischen ihn nicht.


Die Ereignisse dieser Reise beschreibt der Autor mit den Augen eines kleinen Jungen, der in das Milieu von Drogensüchtigen, Prostituierten, Schwulen und Lesben gerät. Das verleiht nun der Schilderung eine unheimliche Echtheit, Tiefe, und Sensibilität. Jack hat keine echten Kinderfreundschaften, keine harmlosen Kinderspiele, keine lustigen Kinderpartys und damit keine glückliche, sorgenlose Kindheit. Anstatt dessen bewegt er sich in der Welt der Erwachsenen und muss sich auf ihre Erwachsenspiele einlassen. Das sind hauptsächlich Frauen, allen voran seine nach Marihuana riechende Mutter und ihre Freundin. Später wird er auch von einer älteren Frau missbraucht und so wird sein ganzes Leben von Frauen geprägt.


Jack Burns wird ein erfolgreicher Hollywoodschauspieler. Bevor seine Mutter stirbt, erfährt er, dass sie gelogen hat und dass sein Vater ihn geliebt hat, ihn immer sehen wollte und ihn auch finanziell unterstützt hat. Nach ihrem Tod lässt ihn der Gedanke an seinen Vater nicht mehr los, die Erinnerungen an die damalige Europareise werden lebendig und er macht sich wieder auf die Suche nach ihm. Und er findet ihn tatsächlich ...


Das Buch ist eine Missbrauchgeschichte, eine Erinnerung, ein Blick zurück, aber vor allem auch eine sich von der Seele geschriebene, jahrelang in sich getragene Tragödie, die in diesem Buch ihr Ende findet.


Das Autobiographische grenzt an Ausgedachtes, an Fantasie, was zu interessanten, wenn auch skurrilen Geschichten führt. Die Sexszenen sind so ausführlich beschrieben, dass dem Leser schon manchmal der Atem weg bleibt, einiges vielleicht sogar peinlich wird. Aber auf keinen Fall beeinflusst es die schöne sprachliche Atmosphäre und die Spannung der zahlreichen herrlichen Geschichten. Es mildert auch auf keinen Fall das Interesse am Geschehen, sondern verleitet zum Weiterlesen.


Ja, dieser John Irving ist nun mal eine Herausforderung für den Leser, denn er muss für diesen Buch viel Verständnis (wegen seiner zahlreichen seltsamen sexuellen Obsessionen), viel Zeit (es hat 1140 Seiten) und viel Geduld (bis Jack seinen Vater findet) mitbringen. Aber es lohnt sich auch wirklich, in die wunderschöne sprachliche Welt von John Irving einzutauchen.


Fazit: Eine auf jeden Fall rührende, unterhaltsame und skurrile Geschichte.


Ludmila Hück

4 Sterne
4 von 5

 © 2006 Ludmila Hück, Harald Kloth