Alexander Brakel

Der Holocaust

Judenverfolgung und Völkermord

Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, Band 9

Der Völkermord an sechs Millionen Juden, Psychogramme der Täter und die Frage nach dem Wissen der Bevölkerung gehören zu den meist untersuchten Themengebiete der deutschen Geschichtsschreibung. Nach teils stark divergierenden Interpretationen zum Beispiel über Art und Umfang des öffentlichen Wissens über die grausame Judenpolitik sowie über die grundlegenden Ursachen der „Endlösung der Judenfrage“ (intentionalistisch gegen funktionalistisch), verdichtete sich in den letzten Jahren nach grundlegender Auswertung der Ostarchive zunehmend ein eher einheitliches Bild über die Judenpolitik des nationalsozialistischen Regimes. Nach einhelliger Meinung liegen die Ursachen des Holocaust in einem geradlinigen, im wesentlichen von politisch-ideologischen Triebkräften bestimmten Weg in den organisierten Massenmord und nicht in einem sich selbst verselbständigenden Prozess.

 

Nun legt Alexander Brakel mit seinem Buch Der Holocaust. Judenverfolgung und Völkermord, einen vergleichsweise relativ kurz gehaltenen, aber umfassenden Gesamtüberblick über den Holocaust vor.

 

Der be.bra Verlag wurde 1994 gegründet und hat sich als unabhängiger Verlag mit Publikationen zu den Themengebieten (Zeit-)Geschichte, Kultur und Architektur ein Renommee verschafft. Schwerpunkt der Betrachtung liegt in den Geschehnissen, die ausgehend von Zentraleuropa Auswirkungen auf ganz Europa hatten. Ganz auf dieser Linie liegend ist die Studie Brakels als Band 9 der Reihe Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert (bisher noch erschienen Band 3 von Sönke Neitzel Weltkrieg und Revolution sowie Band 10 von Rainer F. Schmidt Der Zweite Weltkrieg) zu sehen, mit der die nicht immer einfachen Zusammenhänge der deutschen Geschichte vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung kurz, verständlich und ansprechend dargestellt werden sollen.

 

Alexander Brakel, geboren 1976 in Bonn, studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte und Slawistik in Mainz, Glasgow und Voronez. 2006 promovierte er zum Thema Baranowicze 1939 bis 1944.

 

Aus der Vielzahl an Büchern, die einen Gesamtüberblick über das Dritte Reich geben, ist das vorliegende Buch von Alexander Brakel besonders hervorzuheben. Auf lediglich 180 Seiten gelingt es ihm, das äußerst komplexe Thema in allen Facetten kurz und prägnant darzustellen, ohne wesentliche Aspekte auszuklammern. Im Gegensatz zu den mehrfach prämierten Monumentalwerken von Saul Friedländer Die Jahre der Verfolgung sowie Die Jahre der Vernichtung mit denen dieser erstmalig in der Geschichtsschreibung die Stimmen der Opfer in den Mittelpunkt stellte, beschreibt Brakel aus Sicht der Täter. Mit dieser Herangehensweise ist für ihn der Holocaust am besten darstellbar.

 

Am Anfang des Buches steht eine Abhandlung über die historisch-ideologisch bedingten Ursachen des Völkermordes sowie des Zeitraums der immer radikaler werdenden Methoden der Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung aus Wirtschaft und Gesellschaft. Primäres Ziel, so der Autor, war es zunächst die rechtliche und wirtschaftliche Situation der Juden zu unterminieren und sie zur Emigration zu zwingen. Die Juden sollten aus dem öffentlichen Leben, später vom deutschen Boden verschwinden. Der Schwerpunkt des Buches liegt aber eindeutig auf der organisatorischen Vorbereitung und Durchführung des Holocausts ab 1939. Nur durch die physische Vernichtung und Ausrottung sollte auf grausame Weise die von Hitler über Jahrzehnte verfolgte und immer wieder angepasste Zwangsvorstellung, das Reich und die besetzten Gebiete von Juden zu befreien, gelingen.

 

So ging ab 1942 das brutale Vorgehen immer mehr in ein geordnetes Verfahren über, die Aktionen hatten einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluss: Erst wurden die Juden in Massen festgesetzt und zu einem Erschießungsplatz gebracht, dann mussten sie sich ausziehen vor das Massengrab aufstellen und wurden dann hingerichtet. Die Nachfolgenden mussten sich auf die bereits Getöteten legen und wurden dann erschossen. Aufgrund der hohen psychischen Belastung für die Täter (sic!), begannen nun die NS-Rassenfanatiker, neue Methoden für den organisierten Massenmord zu erproben. Mit der Nutzung von Gas als Tötungsinstrument wurde die Vernichtung schließlich industrialisiert.

 

Diese Vorgehen konnte nur umgesetzt werden durch willige Täter, die in allen Gesellschaftsschichten zu finden waren (für weitere Informationen siehe zum Beispiel Harald Welzer Täter oder Bernward Dörner Die Deutschen und der Holocaust). Die Einteilung in Zugehörigen, die Arier, und Nichtzugehörigen, die Juden, zu einer Gesellschaft und damit der Mord an den Juden als nutzbringenden und Zweck erfüllenden Vorgang zu betrachten, brachte einen Prozess ins Rollen, der schließlich sechs Millionen Juden ermordete. In einem System, dass unterhalb von Hitler von mehreren Machtsäulen getragen wurde, die miteinander verzahnt waren und sich nicht selten bekämpften, wurde so manches Unrechtbewusstsein verschluckt. Die Gesellschaft partizipierte so ohne weiter darüber nachzudenken an der Ausgrenzung und an der Tötung, ohne nach eigenem Empfinden etwas moralisch Verwerfliches zu tun.

 

Wie der Autor richtig zusammenfasst, wurde der Holocaust verübt von zehntausenden unmittelbaren und hunderttausenden mittelbaren - teilweise hochmotivierten - Tätern und Helfern, beobachtet von einer noch weitaus größeren Anzahl von Augenzeugen und damit Mitwissern. Krieg und Genozid bildeten eine untrennbare Einheit. Wie Brakel am Ende des Buches nachhaltig beschreibt, hatte der Holocaust eine gesamteuropäische, ja globale Dimension.

 

Fazit: Zusammenfassend liefert das Buch für all diejenigen, die sich erstmalig näher mit dieser Thematik beschäftigen wollen einen umfassenden Einblick in das schwärzeste Kapitel der deutschen Geschichte, bietet aber auch den schon seit längeren Geschichtsinteressierten einen guten Überblick auf dem aktuellen Forschungsstand. Ein Buch, das sich insbesondere auch für den Geschichtsunterricht in der Oberstufe besonders eignet.

 

Andreas Pickel

4 Sterne
4 von 5

 © 2008 Andreas Pickel, Harald Kloth