Wolfgang Schieder

Faschistische Diktaturen

Studien zu Italien und Deutschland

Bis vor kurzem wurde die fatale Kooperation zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischem Deutschland an dem fast freundschaftlichen Verhältnis seiner beiden Protagonisten, dem "Führer" und dem "Duce", sowie ggf. noch an ihren Vorkriegs- und Kriegsbeziehungen und damit an den gemeinsamen außenpolitischen Zwängen festgemacht. Vergeblich suchte man aber in der Aufarbeitung der dunkelsten Kapiteln dieser beider Länder eine vergleichende Betrachtung ihrer politischen Systeme basierend auf der jeweiligen historischen Entwicklung ihrer radikalen Bewegungen und ihrer jeweiligen Dependenzen. Nun schließt Wolfgang Schieder diese Lücke mit einer großartigen zusammenfassenden Gesamtschau über diese Thematik. Das Buch basiert dabei auf die von ihm im Zeitraum von 1983 bis 2006 verfassten ca. 20 Einzelartikeln, die nicht chronologisch, sondern thematisch zusammengehörend aufgeführt werden.

 

Im ersten Kapitel stellt Schieder strukturfokussiert die Besonderheiten des "italienischen Ursprungsfaschismus" dar. Er stellt dabei seinen Hauptnährboden, die Partei Partito Nazionale Fascita (PNF), seine außenpolitischen Irrwege, die Arabesken ihrer Urbanisierungspolitik sowie den vergeblichen Versuch, Antike mit Monumentalismus zu verbinden, in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen. Im Herbst 1922 gelingt es Mussolini, sich den in Italien wütenden und das Establishment bedrohenden Provinzfaschismus zu Nutze zu machen und sich mit einem "Marsch nach Rom" als der große Retter an die Spitze Italiens zu hieven. Hauptstütze seines Regimes wurde die PNF, die sich, wie Schieder betont, wie die gesamte Bewegung alles andere als eine sozial homogene Partei präsentierte.

 

Charakteristisch an seiner Art der Machtausübung war es, ein Heer aus willfährigen Parteigenossen um sich zu scharen, die zwar stark genug waren, die traditionellen Machteliten wie Kirche, Militär und Industriemagnaten im Schach zu halten, aber schwach genug bleiben mussten, um seine eigene Diktatur nicht zu gefährden. Trotz seiner radikalen, ja kriegerischen Ausrichtung, gelang es ihm nur unzureichend, die italienische Gesellschaft zu militarisieren. Auch anderweitig war nicht alles Gold was glänzte. So scheiterten beispielsweise kläglich die Versuche, die ländlich geprägten Regionen durch eine dezidiert rural fokussierte Politik aufzuwerten, sowie ein geplanter umfassender Städteumbau durch Monumentalisierung. Die vor allem in Rom geplanten Maßnahmen zur besseren Vergegenwärtigung der Antike dienten überwiegend nur der ideologischen Absicherung der Führerherrschaft Mussolinis, damit rein politischen Zwecken und war keinerlei wissenschaftlichen Gründen geschuldet. Noch heute, so der Autor, sind die antiken Monumente faschistisch überlagert, die römische Antike durch den Faschismus repräsentiert.

 

Das zweite Kapitel beschreibt die Vorreiterolle des italienischen Faschismus insbesondere für Deutschland. Mit dem "Marsch auf Rom" am 28. Oktober 1922 wurde die politische Bewegung des Faschismus quasi über Nacht zur Berühmtheit. Die Diktatur zeigte sich überlegen gegenüber den demokratischen Systemen der Siegermächte des Ersten Weltkriegs und fand bald viele Nachahmer. Das deutsche Interesse zeigt sich, so Schieder, allein schon daran, dass in Deutschland in der Zeit zwischen dem "Marsch auf Rom" bis zur Inthronisierung Hitlers neben Tausenden von Aufsätzen und Artikeln allein über 150 Bücher über den italienischen Faschismus publiziert wurden.

 

Durch Fehleinschätzung aller Parteien und konservativer Eliten bezüglich der Strahlkraft des Faschismus auf Hitler und seiner Gefolgschaft sowie die Sympathie des Katholizismus als Folge eines katholische Antinazismus schufen den Nährboden für eine erfolgreiche Imitation. Trotzdem war es für den Autor ein langer und schwieriger politischer Prozess, bevor sich der Nationalsozialismus offen zu den Zielen, Merkmalen und Symbolen des Faschismus bekannte. Auch innerparteilich hatte Hitler Mühe, seine italienfreundliche Politik überzeugend zu verkaufen. Letztendlich setzte er aber entgegen aller Vorbehalte seine profaschistische Politik durch. Das "System Mussolini" war für ihn die beste Antwort auf die schwache Weimarer Republik.

 

Nach der Ausrufung der "Achse Rom Berlin" durch Mussolini am 1. November 1936, dem "Stahlpakt" (patto d`accaio) vom 22. Mai 1939, der eigentlich treffender "Blutpakt" (patto di sangue) heißen sollte, bis zum Kriegseintritt Italiens im September 1940 näherten sich beide Staaten unter anderem parteipolitisch, wirtschaftlich sowie kulturell und damit weit über politisch und militärisch motivierte Zwänge hinausgehend an. Dazu zählt zum Beispiel auch die paramilitärische sqadri d`azione, die später durch Hitler durch die Etablierung der SA imitiert wurde. Beide Diktatoren scheiterten glücklicherweise an ihrem Wahn, wobei in der Retrospektive Hitlers Vernichtungspolitik logischerweise mehr im Fokus der Missbilligung steht. Nichtsdestotrotz steht aber auch der Name Mussolini für 23 Jahre Willkürherrschaft nach Innen und aggressiver und kriegerischer Politik nach Außen.

 

In dem Kapitel "Der Nationalsozialismus als deutscher Faschismus" stellt Schieder richtig dar, dass nur der Führer an der Spitze des Regimes für die Taten des Nationalsozialismus die Verantwortung tragen kann. In der propagandistischen Selbstdarstellung präsentierte sich zwar das NS-Regime als ein homogener, monolithischer Block, der getreu der Parole "Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer" hierarchisch strukturiert und einzig und allein durch die Omnipotenz Adolf Hitlers zusammengehalten wurde. Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus. Das Regime wurde von mehreren Machtsäulen getragen, die miteinander verzahnt waren und sich nicht selten bekämpften. Hitler setzte auf Teilen, um besser zu herrschen. Am Beispiel der Partei (NSDAP), der Kirche und des Militärs stellt Schieder dar, wie das polykratische Bündnissystem zwischen Nationalsozialismus und alten sozialkonservativen Eliten in allen Bereichen dem System Funktionsfähigkeit, Effizienz und Dynamik sicherte. Durch eine "Nationalisierung der Massen" inszenierte er den Führerkult, seine Herrschaft basierte auf politischem Terror und staatlich organsierten und in der Endphase industrialisierten Massenmord.

 

Schließlich vergleicht Schieder im letzten Kapitel den deutschen und italienischen Faschismus. Warum nur Deutschland und Italien? Auch in anderen Ländern, beispielsweise in Norwegen und Kroatien, entstanden faschistische Regime. Während sich diese jedoch nur mit Hilfe ihrer jeweiligen Besatzungsmacht etablierten, kamen der deutsche und italienische Faschismus durch eigene Kraft an der Macht und hielten die Macht auch selbständig. Dies alles sowohl 1922 als auch 1933 auf Basis einer schweren Krise des kapitalistisch strukturierten Wirtschaftssystems als Antwort auf einen (suggerierten) drohenden sozialen Umsturz. Die Herausforderung des Übergangs in das Industriezeitalter war in beiden Staaten noch nicht gelöst. Schieder stellt plausibel dar, warum der Faschismus nur in diesen beiden Ländern politisch erfolgreich war.

 

Für den Autor gibt es vier hauptsächliche Gründe der faschistischen Schwerpunktbildung auf der Achse Rom - Berlin:

  1. Die koloniale Traditionslosigkeit, sodass die Regime imperialistische Utopien für innenpolitische Zwecke instrumentalisieren konnten.
  2. Das Fehlen einer nationalen Identität.
  3. Ein fehlender Fundamentalkonsens hinsichtlich der Verfassungsgebung.
  4. Nationalismus als Basis für eine aggressive Außenpolitik, das heißt Konsolidierung nach Innen durch Saturierung nach Außen.

Dabei charakterisiert er die Vorreiterfunktion an folgenden Merkmalen: einheitliche politische Praxis in Form von kollektiver Gewaltausübung, Verständnis des Faschismus als "Bewegung" und nicht als parteiähnlich organsierte Institution, ihr paramilitärischer Aktionsstil (militärische und terroristische Mittel zum Zwecke der Ausgestaltung und Durchsetzung der Politik) und schließlich die Partei als Sammelbecken für alle gesellschaftlichen Schichten, also quasi eine universale Partei. Dabei bediente man sich der gleichen Systematik. Zunächst Gleichschaltung aller am politischen Leben teilnehmenden Organisationen bei Bekämpfung ihrer Gegner mit allen Mitteln, auch Mord, und schließlich die Disziplinierung der eigenen Bewegung. Hitler ging noch einen Schritt weiter und entmachtete auch noch die nationalkonservativen Eliten, auf die sich im Gegensatz dazu Mussolini bei seiner Art der Machtausübung teilweise abstützte und abstützen musste. Auch die oben beschriebene Eigendynamik des nationalsozialistischen Systems war im italienischen Faschismus kaum ausgeprägt. Der Ansatz der Unterdrückung war in beiden Regimen ähnlich, die Konsequenz und Unerbittlichkeit der systematischen Vernichtung insbesondere der Juden aber einzigartig.

 

Die These des Autors, dass Hitler nur deshalb Erfolg hatte, weil er unter den spezifischen Bedingungen des politischen Systems und Bedingungen des Nachkriegsdeutschlands und der Weimarer Republik die Vorgehensweise Mussolinis für die Ausgestaltung des Faschismus als Massenbewegung auf seine Bedürfnisse hin adaptierte und radikalisierte, wird in der vergleichenden Betrachtung zweifelsfrei deutlich. Mussolini war sich seiner historischen Vorreiterrolle bewusst und unterstrich den universalen Charakter seines Faschismus. Dass das "Vorbild" später zum "Nachahmer" aufsehen musste ist hinlänglich bekannt und zehrte an niemanden mehr als an Mussolini selbst.

 

Ein überaus gelungener Abschluss des Buches ist das Kapitel "Fotografische Inszenierungen". Während man heute wie selbstverständlich selbst Themen wie gefärbte oder nicht gefärbte Haare von Politikern ausschlachtet, waren der Duces und der Führers mit Ausnahme vielleicht von Wilhelm II. die ersten "Medienkanzler" der Geschichte. Um auch die Führer in den Medien, insbesondere durch erstmals auch farbige Film- und Fotoaufnahmen, richtig zu positionieren, waren ganze Abteilungen beschäftigt. In Verbindung mit meisterlich inszenierten Auftritten und vor allem bei Hitler seinem großen Charisma, waren so die Führer omnipräsent und stellten sich stets als Herr des Verfahrens dar. Die ansonsten einsamen Führer waren in der medialen Präsentation Teil ihrer Massenbewegung und damit Teil des Kollektivs und stilisierten damit den Führerkult sowie die homogene Volksgemeinschaft.

 

Lange Jahre hat man sowohl in Deutschland wie in Italien eine nur halbherzige vergleichende Betrachtung der beiden Systeme durchgeführt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Während man in Deutschland das Dritte Reich eher mit dem Terrorregime Stalins verglich, um so die eigene Vernichtungspolitik zu relativieren, besann man sich in Italien vielmehr der erfolgreichen Resistenza als Garant der nationalen Einheit. Die durchweg negativen Auswirkungen der Diktatur wurden gänzlich ausgeblendet. Beide Ansätze negieren jedoch nachhaltig auf ihre Weise die aktive und passive Verwicklung fast der gesamten Bevölkerung an den Verbrechen ihrer führenden Köpfe.

 

Es ist Schieders Verdienst, diese Denkweise zu entmythologisieren. Dabei gelingt ihm nicht nur eine vergleichende Betrachtung, sondern eine staatenübergreifende Darstellung der gesellschaftlichen Bewegungen dieser Zeit. Die studienartig aufgebauten Beschreibungen der Phasen erste faschistische Strömungen, Inthronisierung, Ausbau und Festigung der Macht sowie schließlich Radikalisierung bis im "deutschen Fall" zum Massenmord wecken von Anfang an das Interesse des Lesers und werden hinreichend in allen Facetten durchleuchtet.

 

Das Buch ist schon allein auf seines jederzeit gerechtfertigten wissenschaftlichen Anspruchs insgesamt nichts für denjenigen, der sich erstmalig mit dieser Thematik beschäftigt. Über 1.860 Anmerkungen, davon allein über 200 in dem Kapitel "Das totalitäre Experiment", unterstreichen zwar die Akribie der Recherchen, unterbrechen aber in manchen Teilen nachhaltig den Lesefluss.

 

Fazit: Ein Muss für jeden Studenten der Geschichts- und Politikwissenschaften. Selbst Historiker dürften über die dargelegte Intensität der Dependenzen zwischen beiden Terrorregimen überrascht sein.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

© 2009 Andreas Pickel, Harald Kloth