Früher waren mehr Tore

Hinterhältige Fußballgeschichten

von Friedrich Dürrenmatt, Jaroslaw Hasek, Loriot, Luciano DeCrescenzo, Urs Widmer, Nick Hornby, Elke Heidenreich, Erich Hackl, Martin Suter und anderen

 

Grüß Gott liebe Fußballfans - ihre Reporterin ist Schriftstellerin Sibylle Berg (Halbzeit). Ich darf Sie recht herzlich zu diesem einzigartigen literarischen Fußballmatch begrüßen und wünsche Ihnen unterhaltsame 90 Minuten, die vermutlich in die Verlängerung gehen und darüber hinaus in eines der wohl spannendsten Elfmeterschießen münden werden, das die literarische Welt je gesehen hat.

 

Beginnen wir gleich mit der Aufstellung der schlagkräftigen Auswahl-Mannschaft - Literatur des 20. Jahrhunderts, die von Trainer Joachim Ringelnatz (Fußball - nebst Abart und Ausartung) dichterisch auf dieses Spiel vorbereitet wurde. Neben ihm auf der Bank begrüßen wir den Präsidenten des Klubs, Loriot (Fußball - ein Spiel für Intellektuelle), den immer mürrisch drein schauenden Manager Friedrich Dürrenmatt (Das gemästete Kreuz) sowie die Betreuerin und nicht weg zu denkende gute Seele der Mannschaft Dagmar Leupold (Die Fußball-Mutti).

 

Im Tor: Vladimir Nabokov (Im Tor), der dem Zerberus zwischen den Pfosten, dem komischen Kauz im Kasten, der oftmals durch einen unglaublichen Reflex in der letzten Minute ein Spiel, eine Meisterschaft gewinnen oder durch einen schweren Patzer den grausamen Abstieg besiegeln kann und daher über Glück und Unglück ganzer Generationen (zumindest gefühlt!) entscheiden muss, darf oder kann, ein literarisches Denkmal setzt.

 

In der Verteidigung laufen auf: als rechter Verteidiger, der knochentrockene Dave Eggers (Fußball in den USA), daneben fungiert als Libero (elegant wie eh und je!), Javier Marias (Die wiedergewonnene Kindheit), davor unterbindet der beinharte Vorstopper Jaroslav Hasek (Fußball in Bayern) jegliche Angriffsbemühungen des Gegners und auf der linken Abwehrseite, spielt der Turm in der Schlacht Jesús Moncada (Fußball am Fluss).

 

Im defensiven Mittelfeld stellen sich der eisenharte Manuel Vázquez Montalbán (Cojones!) und der im Stellungsspiel unglaublich sichere Herbert Eisenreich (Der Weg hinaus) den Angriffen der gegnerischen Mannschaft.

 

Für Druck in der Offensive sorgt der technisch unglaublich starke Albert Camus (Der König des Hofs). Der Dauerläufer des Teams Ödön von Horváth (Legende vom Fußballplatz) unterstützt die beiden pfeilschnelle Spitzen Urs Widmer (Gebet) und Clemens Meyer (Schüsse). Diese beiden bilden das hervorragend harmonierende Sturm-Duo, das Lücken in die gegnerische Abwehrreihe reißen soll.

 

Auf der Auswechselbank sitzen unter anderem Ersatz-Keeper Dan Kavanagh (Den Kasten sauber halten), Peter Handke (Die Angst des Torwarts beim Elfmeter), Friedrich Torberg (Meisterspiel) und Eduardo Galeano (Tod auf dem Fußballplatz). Wie Sie an den Namen unschwer erkennen können, hat Trainer Ringelnatz die Qual der Wahl, denn alle auf dem Spielbogen zu Beginn der Anthologie Genannten sind topfit, in absoluter Höchstform und brennen darauf, gelesen zu werden.

 

Hochrangige und lautstarke Unterstützung von der Zuschauertribüne erhält diese internationale Top-Mannschaft außerdem von Luciano De Crescenzo (Zwei Tribünenplätze), Arsenal-London-Edel-Fan Nick Hornby (Sieben Tore und eine Schlägerei) und Fatou Diome (Maldini).

 

Diese von Daniel Kampa und Winfried Stephan zusammengestellte Anthologie voller hinterhältiger Geschichten rund um das runde Leder, ist für fußballbegeisterte Literaturfans ein ganz klares Muss; sie bietet aber auch für Fußballhasser oder -ignoranten allerhöchsten Lesegenuss, vom Humor bis hin zur Tragödie! Zum Beweis hierfür sei die Miniatur Auf Wiedersehen in Hasorea von Maxim Biller angeführt: der Autor vermittelt uns unaufgeregt, gelassen und leise die Geschichte eines denkwürdigen Fußballspieles Anfang der 30er Jahre zwischen Hitler-Jungen und einem jüdischen Pfadfinder-Stamm - Sieg oder Niederlage sollten entscheidend sein ...

 

Leserinnen und Leser, die dem Fußball nichts abgewinnen können finden hier viele Beweise dafür, dass dieses merkwürdige, Millionen von Menschen in den Bann ziehende Spiel, bei dem sich 22 Menschen um einen einzigen Ball streiten, um eben jenen in ein eckiges Metall- oder Holzgestell am linken und rechten Spielfeldrand zu bugsieren, nicht ganz koscher ist und dass es neben dem Fußball noch viele weitere, viel wichtigere Dinge auf unserem Erdball gibt - nur ein echter Fußballfan wird das niemals verstehen können (und wollen!). Und wer bitteschön sollte dieses literarische Wunderteam, das vom Trainer hervorragend eingestellt wurde und sich in absoluter Topform befindet, schlagen können?

 

Fazit: Für fußballbegeisterte Literaturfans ein ganz klares Muss!

 

Wolfgang Gonsch

5 Sterne
5 von 5

© 2008 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth