Maria Elisabeth Straub hat mit Das Geschenk einen äußerst ungewöhnlichen und provokanten historischen Roman geschrieben. Maria und Joseph, die beiden höchst unterschiedlichen Protagonisten, leben im Heiligen Land vor cirka 2.000 Jahren. Doch damit verlässt die Autorin auch schon altbekanntes Terrain und variiert das Thema fortan fiktiv und wie schon erwähnt provokant.
Maria lässt während ihrer Nachtwache am Sterbebett ihres Mannes, von ihr wegen seines Charakters nur „der Hölzerne“ genannt, ihr bisheriges Leben Revue passieren: vom eigenen Vater missbraucht und geschwängert erwartet sie ihr Kind, doch Joseph weiß vom Missbrauch, fürchtet allerdings um die Mitgift und schweigt deswegen. Um nicht gesteinigt zu werden (die damals übliche Strafe für Frauen bei Inzucht), lässt sie sich verheiraten mit eben jenem alten Zimmermann, und ihm verkauft sie das Kind als Erzeugnis des Heiligen Geistes. Maria eine Lügnerin? Jesus ein Inzestkind?
Die biblischen Abläufe werden von der Autorin umgedeutet in eine Geschichte voller sexueller Gewalt sowie familiärer und gesellschaftlicher Zwänge, in der die Protagonisten von kirchlichen Ikonen in ganz normale Menschen mit all ihren Gefühlen, Sehnsüchten und Nöten zurück verwandelt werden. Zudem findet sie eine sehr ungewöhnliche Erklärung für das Mysterium der Jungfräulichkeit Marias.
Für viele hat das Thema Heilige Familie vielleicht etwas Abschreckendes, Altbackenes: doch völlig zu unrecht, vor allem wenn es sich dabei um diesen Roman handelt! Dem Leser wird selten bis gar nicht bewusst, dass er sich überhaupt nicht in der älteren oder jüngeren Geschichte oder sogar in der Gegenwart befindet. Dieses Buch strotzt nur so vor Aktualität, es ist vielschichtig und überrascht den Leser immer wieder aufs Neue. Es ist ein Roman über Familie, Nachbarn und über Liebe, aber beileibe kein Liebesroman oder Gesellschaftsdrama. In diesem facettenreichen Buch geht es um eine starke, liebende Frau, jenseits aller Bibellegenden, um eine lebendige und ein bisserl rebellische junge Frau aus Fleisch und Blut, frech und fromm zugleich, die erst sehr viel später zu der Ikone des Christentums werden sollte.
Maria Elisabeth Straub beschreibt in diesem Buch detail- und facettenreich, farbenfroh, blumig und humorvoll das Leben der heiligen Familie, es wirkt ungemein flüssig und steckt voller Spannung! Hier gelingt Maria Elisabeth Straub ein neuer, radikaler Blick auf die Heilige Familie, ohne blasphemisch zu sein.
Fazit: Macht Spaß.
Wolfgang Gonsch
© 2007 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth