Hans Magnus Enzensberger

Hammerstein oder Der Eigensinn

Kurt von Hammerstein-Equord, heutzutage kaum bekannt, war adliger Militär der alten Schule und einer der wenigen Republikaner im Generalsstab der Reichswehr. Er legte in der Weimarer Republik eine Traumkarriere hin, in der er es bis zum Chef der Heeresleitung (heute in etwa vergleichbar mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr) brachte und dadurch eine wichtige politische Rolle spielte.

 

Hammersteins Meinung über Hitler, den er 1924 kennen lernte, war identisch mit der von Kurt von Schleicher, da sei in München ein Gefreiter verrückt geworden, er nannte ihn nur noch den Wirrkopf. Von diesem Zeitpunkt an zeigte der angesehene General Hitler die kalte Schulter. Keine neuen Jahre später, am 03.02.1933 trat der neue Reichskanzler vor die Führung der Reichswehr - vor Kurt von Hammerstein, in dessen Wohnung! Tage zuvor sprach von Hammerstein beim Reichspräsidenten Paul von Hindenburg vor, um einen Kanzler Hitler zu verhindern. Der Reichspräsident verbat sich in aller Strenge jede politische Beeinflussung, sagte aber, dass er gar nicht daran denke, diesen österreichischen Gefreiten zu einem Minister oder gar Reichskanzler zu ernennen.

 

Wie wir allen wissen, ernannte der greise Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler; fast zeitgleich unterschreibt er die Reichstagsbrandordnung (mit der die Meinungs- und Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt werden) und das Ermächtigungsgesetz (mit dem sich der Reichstag selbst entmachtet), erst mit diesen Unterschriften ermöglichte Paul von Hindenburg die Etablierung der NSDAP-Diktatur.

 

Hammerstein sah die dunklen Wolken über Deutschland heraufziehen, nutzte seine großen Möglichkeiten jedoch nicht aus: aufkommende Staatsstreichpläne ließ er fallen, da er einen Bürgerkrieg fürchtete. Als Kurt von Schleider erschossen wurde, zog Kurt von Hammerstein den Rückzug vor. Er nahm 1934 seinen Abschied aus der Heeresleitung. Kurt von Hammerstein erlag 1943 einem Krebsleiden, doch seine Weltanschauung lebte weiter: zwei seiner Söhne gehörten zur Widerstandsbewegung des 20. Juli und waren am Hitler-Attentat beteiligt, überlebten aber aufgrund genauer Orts-Kenntnisse des Bendler-Blocks.

 

Der Autor widmet sich in diesem Buch nicht nur Kurt von Hammerstein selbst, sondern auch intensiv dessen sieben Kindern, von denen die fünf ältesten aktiv gegen die Nazis wurden. Die beiden jüngsten, Luise und Helga wurden Kommunistinnen. Enzensberger rekonstruiert mit Hilfe von Archiven, Zeitzeugen und mit Hilfe seiner Phantasie Geschichte. Er komponiert eine Geschichte zwischen Verrat und aufrechtem Gang. Nicht die Akteure sind die Helden, wohl aber deren Versuche, gegen den Strom zu schwimmen.

 

Die Urteile über dieses Buch werden sehr gespalten sein: In der Tradition von Sebastian Haffner versteht es Hans Magnus Enzensberger komplizierte geschichtliche Zusammenhänge einem breiten Publikum verständlich zu machen und in wenig scharfsinnigen Analysen bekannte Sachverhalte neue Perspektiven zu geben. Die Tradition erzählender Geschichtsschreibung, im anglo-amerikanischen Gang und gäbe, ist bei uns leider noch nicht etabliert. Wir diskutieren immer noch darüber, ob es ein Roman oder ein Sachbuch ist.

 

Das Buch von Hans Magnus Enzensberger ist keins von beiden: Vor uns liegt gut recherchierte, flüssig geschriebene und leidlich spannende Dokumentar-Literatur über die schwärzeste Zeit der jüngeren Geschichte.  Hammerstein als einflussreicher und früher Nazi-Gegner hätte Hitler verhindern können, der aber dann doch gezaudert hat, wie so viele Offiziere, die weit hinter ihren politischen Möglichkeiten blieben!

 

So erscheint dieses Buch von Hanns Magnus Enzensberger wie ein verworrener Versuch, an der Person von Kurt von Hammerstein den ganzen Berufsstand der Generalstabsoffiziere rein zu waschen - vergeblich und fast kläglich!

 

Fazit: Dieser biographische Mix aus erzählter Geschichte, historischen Originaltexten, kommentierten Glossen und Totengesprächen vermittelt wichtige Werte für die Gegenwart.

 

Wolfgang Gonsch

3 Sterne
3 von 5

© 2008 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth