Mark Mazower

Hitlers Imperium

Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus

Nach zwölf Jahren nationalsozialistischem Terrorregime, zunächst in Deutschland, dann ausgeweitet auf ganz Europa, wurde die Chimäre von Hitlers tausendjährigem Reich und damit sein "Griff nach der Weltmacht" durch die Alliierten beendet. Die Einzelaspekte Hitlers Ideologie und die daraus resultierenden Konsequenzen auf seine rigorose Außenpolitik sowie insbesondere die Operationsführung im Zweiten Weltkrieg (verwiesen sei hier auf die weltweit einzigartige, auf zehn Bände und auf über zehntausend Seiten angelegten Gesamtdarstellung des Zweiten Weltkrieges durch das Militärgeschichtlichen Forschungsamtes) wurden hinreichend aufgearbeitet. Allerdings suchte man bis dato vergeblich eine Gesamtdarstellung über die Ziele und Absichten Hitlers Außenpolitik, deren oftmals laienhafte Umsetzung die Etablierung "seines" Imperiums verhinderte. Diese Lücke schließt nun Mazower in einem lesenswerten, hochinteressanten und vergleichsweise kompakten Buch über das "Programm" Hitlers hinsichtlich der Neuordnung des europäischen Kontinents in politischer, wirtschaftlicher und soziologischer Sicht.

 

Im ersten Teil seines Buches beschreibt Mazower den Weg des nationalsozialistischen Deutschlands zur europäischen Großmacht. Dabei geht er den Weg über die Deutschen Einigungskriege, dem vergeblichen Weltmachtstrebens Wilhelm II., welches schließlich in den Ersten Weltkrieg mündete, die ohne Rücksicht auf jegliche diplomatische Befindlichkeiten erfolgte Wiedereingliederung Deutschlands in das Konzert der europäischen Großmächte und endet mit der kompromisslosen, auf Waffengewalt basierenden Expansionspolitik Hitlers im Zweiten Weltkrieg. Mazower macht deutlich, dass die Eroberungspolitik primär nicht auf Antisemitismus beruhte, sondern auf dem Willen, ethnische Reinheit herzustellen und damit alle Deutschen und Deutschstämmigen in einem Staatengebilde vereinigt werden müssten. Nachdem dies politisch und ideologisch nicht zu verwirklichen war, blieb nur noch Gewalt, der Krieg. Am stärksten zu leiden hatten dabei die Juden, insbesondere in der Sowjetunion, also dort, wo die Rote Armee geherrscht hatte.

 

Der zweite Teil thematisiert die brutale Vorgehensweise aller Sicherheitskräfte (Wehrmacht, SA, SS) der wahnwitzigen Ideologie ihres Führers folgend in Richtung der Etablierung eines europäischen Großreiches sowie das wenig "herrenmäßige Herrschen" in den besetzten Gebieten. Insbesondere in diesem Abschnitt wird deutlich, dass Eroberung nur fußend auf die militärischen Mittel eines Landes nicht zum Erfolg führen kann. Neben zunehmend sinkenden ökonomischen Faktoren war die Art und Weise, wie das Dritte Reich Besatzungspolitik betrieb mit von wesentlicher Bedeutung für das Scheitern. Schnell folgte einer anfänglichen Begeisterung kalte Ernüchterung. Auch später noch unterstützten in einigen Ländern Kollaborateure umfangreich die grausame Politik der Nazis. Dennoch, hätte man nicht in einer derart brutalen und grausamen Weise Terror und Chaos verursacht, hätte man vielleicht die Mehrzahl der Bevölkerung auf seiner Seite gehabt und es wäre gerade der Sowjetunion nicht gelungen, in einer derartigen Weise seine Massen für den gemeinsamen Kampf, den von Stalin ausgerufenen "Großen Vaterländischen Krieg", gegen das nationalsozialistische Deutschland zu gewinnen.

 

Ein Aspekt, der sich, wenngleich unter ganz anderen Voraussetzungen, auch immer wieder in der heutigen amerikanischen Sicherheitspolitik wiederspiegelt. Die militärische Intervention im Irak und in Afghanistan dient vor allem dem Kampf gegen den Terrorismus, aber unter anderem auch der Wahrung der Menschenrechte und dem Aufbau demokratischer Systeme. Auch wenn die USA dazu das größte Militärpotenzial aufbot und noch aufbietet, die militärische Operationsführung kann nur zum Erfolg führen, wenn man die Bevölkerung von seinem Handeln und Zielen überzeugen kann und auch die einzelnen Menschen einen Benefiz aus der Besatzung ziehen. Die billigende Inkaufnahme von verwundeten und getöteten Zivilisten trägt dazu nicht bei. Der aktuelle Strategiewechsel in Afghanistan zeigt, dass hier endlich ein Umdenken erfolgt.

 

Doch zurück zu den Nationalsozialisten. Als das Pendel zurückschlug und die Initiative der Kriegsführung zunehmend auf die Alliierten überging, ließ sich für Hitler die wirre Utopie einer rassisch homogenen "Volksgemeinschaft", die als "Herrenvolk" den europäischen Kontinent dominieren sollte, nicht mehr verwirklichen. Es blieb den Funktionären in dieser neuen "Sackgasse", aufgestachelt von den hasserfüllten Äußerungen des Führers, nur noch ein Weg ihre Ziele auf negative Weise zu erreichen: durch Massenmord. Dies war neben den immensen materiellen und personellen Ressourcen, die die Sowjetunion und die USA ins Feld warfen, mit der ausschlaggebende Faktor, dass die Stimmung in den besetzten Gebieten umschlug und sich eine "Neue Ordnung" nicht verwirklichen ließ.

 

Das NS-Regime wurde von mehreren Machtsäulen getragen, die miteinander verzahnt waren und sich nicht selten bekämpften. Als Bestandteile oder Leitinstanzen dieser Polykratie gehörten neben der NS-Führungsspitze, die Massenpartei, die SS sowie die Staatsbürokratie auch das Militär, die Wirtschaft, die Kirchen und die Wissenschaft. Dieses Bündnissystem zwischen Nationalsozialismus und alten sozialkonservativen Eliten, das dem System Funktionsfähigkeit, Effizienz und Dynamik sicherte, bewährte sich zwar in der Rassen- und Vernichtungspolitik, nicht jedoch in einer einheitlichen Linie in der Besatzungspolitik. Hier wurde nur von heute auf Morgen gedacht, mittelfristige oder gar langfristige, vor allem einheitliche Ziele nicht formuliert und realisiert.

 

Letztendlich so Mazower waren die Nationalsozialisten zu brutal in der Um- und Durchsetzung ihrer Ideologie sowie oftmals auch einfach unfähig, um die gewonnenen Gebieten zu verwalten und daraus ein Imperium zu formen. Während die Römer in den eroberten Gebieten einen Rechtsstaat schufen, wilderten die Nationalsozialisten in einem rechtsfreien Raum.

 

Bei aller Was-wäre-wenn-Spekulation, Deutschland musste zum Glück kapitulieren und die bisherige Weltordnung wurde komplett auf den Kopf gestellt. Die Konsequenzen daraus werden im abschließenden Teil des Buches behandelt.

 

Nach Münkler ist ein Imperium durch drei Hauptmerkmale charakterisiert:

Erstens eine deutliche Abgrenzung der Kriterien für einen Staat, das heißt keine einheitliche Bevölkerung (Nation), Staatsgrenzen und Staatsordnung, zweitens durch seine Abgrenzung zur Hegemonie (Hegemonie ist die Vorherrschaft innerhalb formal gesehen gleichberechtigter Akteure, während sich ein Imperium durch die Abhängigkeitsbeziehung Zentrum - Satelliten charakterisiert) und drittens durch die Abgrenzung zum Imperialismus. Kriterien für ein Imperium sind für ihn zeitlicher (es muss zyklisch nach einem Aufstieg ein Wellental durchschritten haben und sich erneut im Aufstieg befinden) und räumlicher (geoökonomischer) Art. So gesehen, sprechen nur Teile für ein "Imperium Hitlers". Insbesondere aufgrund der kurzen Dauer von nur wenigen Monaten der Hegemonie über ganz fast Europa lassen zweifeln, von einem Imperium zu sprechen.

 

Mazower gelingt der Drahtseilakt, die Eroberungspolitik des nationalsozialistischen Deutschlands nicht ausschließlich auf den Drang nach der Vernichtung der Juden zu beschränken - auch wenn dies trotz allem ein der Triebfedern war. Nicht zuletzt die Schmach des Ersten Weltkrieges, bis dato unerfüllte Träume nach kolonialer Herrschaft, die durch die Eroberung neuen Lebensraums im Osten kompensiert werden sollten, sind hier auch zu nennen.

 

Aus Sicht Mazowers waren es nicht nur die Fehler Hitlers, sondern insbesondere auch unfähige, vom Ehrgeiz getriebene völlig an der Realität vorbei handelnde und die Realität verkennende Politmarionetten der Partei, der SS und der Wehrmacht die das "Imperium" in den Untergang trieben. Schon ab 1942 wurde nur noch reagiert und das ohne jegliches Konzept, anstatt im Rahmen der immer noch gegebenen Möglichkeiten zu versuchen, die Initiative zu behalten. Nachdem sein "Imperium" nicht mehr zu verwirklichen war, lag Hitlers Sinn am Kriege spätestens ab 1943 auch im Untergang des deutschen Volk, hat es sich doch als das Schwächere im Kampf auf Leben und Tod erwiesen.

 

Ende 1941 war das Deutsche Reich so groß wie es seit dem Römischen Reich kein vergleichbare gab. Dreieinhalb Jahre später musste man kapitulieren, die Absicht, Europa durch Krieg zu vereinen gescheitert - aus heutiger Sicht Gott sei Dank.

 

Fazit: Besonders macht dieses Buch seine gesamtheitliche Betrachtung der Eroberungspolitik, steht doch gerade nicht die Operationsführung im Mittelpunkt, sondern politische, soziologische, wirtschaftliche und ideologische Aspekte werden gleichermaßen umfassend betrachtet.

 

Andreas Pickel

4/5 Sterne
4/5 von 5

© 2009 Andreas Pickel, Harald Kloth