Über 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Zeit des Nationalsozialismus in unzähligen Publikationen und Dokumentationen umfassend erforscht. Insbesondere nach Aufarbeitung der nun für alle zugänglichen Archive der osteuropäischen Staaten sind grundlegende Neuinterpretationen des schwärzesten Kapitels der deutschen Geschichte nicht mehr zu erwarten.
Während jedoch die Standardwerke oftmals aus mehreren Bänden bestehen und somit nicht das Interesse einer breiteren Leserschaft finden, legt nun der Historiker Ernst Piper, Autor der Biografie über Alfred Rosenberg, dem Chefideologen des diktatorischen Verbrecherregimes, eine vergleichsweise kompakte Geschichte des Nationalsozialismus vor.
Dieses Sachbuch hat nicht den Anspruch, neue Aspekte aufzuzeigen oder bekannte Aspekte unter einem neuen Blickwinkel zu präsentieren. Stattdessen gelingt es Piper in hervorragender Weise schnörkellos, das heißt ohne die oftmals den Fluss des Lesens störende Fußnoten, Literaturverweise und Abbildungen, den Weg Hitlers vom Vorsitzenden einer unbedeutenden Partei über die zunächst erfolgreichen, dann aber niederschmetternden Versuche der Errichtung einer Hegemonie über Europa bis schließlich zum Zusammenbruch nachzuzeichnen. Ganz auf der Linie von Saul Friedländer berücksichtigt Piper im Gegensatz zu vielen anderen Historikern auch die Stimmen der Opfer in adäquater Art und Weise. Besonders hervorzuheben ist das letzte Kapitel des Werkes, welche sich umfassend mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus von der Nachkriegszeit (zum Beispiel Kriegsverbrecherprozesse) bis in die heutige Zeit (zum Beispiel Diskussion um das Holocaust-Mahnmal) befasst und insbesondere die viel diskutierte Schuldfrage diskutiert. Die Aussage „davon haben wir nichts gewusst“ der „normalen“ Bürger ist wie mittlerweile oftmals aufgezeigt nicht mehr haltbar und moralisch verlogen. Eine detaillierte Zeittafel im Anhang vereinfacht eine Rekonstruktion der Zusammenhänge.
Das Buch, auch für historisch nicht so sattelfeste Leser leicht verständlich geschrieben, gibt eine Zusammenfassung aller wesentlichen Eckpunkte des Nationalsozialismus auf dem aktuellen Forschungsstand wieder, ohne sich an der mittlerweile mystisch anmutenden Interpretationsvielfalt über die Denkprozesse der nationalsozialistischen Funktionsleiten zu beteiligen. Pieper vertritt nachhaltig die Position der sogenannten Intentionalisten, das heißt er sieht die Ursachen für den Holocaust in einem geradlinigen, im Wesentlichen von politisch-ideologischen Triebkräften bestimmten Weg in den organisierten Massenmord. Wo angebracht ergänzt Piper seine Ausführungen durch Einschübe mit den notwendigen Hintergrundinformationen beziehungsweise Erläuterungen sowie mit Kurzbiografien der wesentlichen „Treiber“ des Terrorregimes.
Fazit: Insgesamt aufgrund der verständlichen Verknüpfungen der Zusammenhänge ein empfehlenswertes Buch sowohl für bis dato weniger Geschichtsinteressierte und Oberstufenschüler, aber auch für denjenigen, der sich intensiver mit der Materie beschäftigt.
Andreas Pickel
© 2008 Andreas Pickel, Harald Kloth