Julia Franck

Lagerfeuer

Roman

Wenn es stimmt, dass Gott gegenwärtig wird im Mitleid, wie Eugen Drewermann meint, dann hat Gott wahrscheinlich öfters mal vorbei geschaut, als Julia Frank an ihrem neuen Buch geschrieben hat. Denn die Intensität, mit der die Autorin mit ihren Figuren mitleidet, an deren Schicksal Anteil nimmt, deren Ängste und Sehnsüchte ernst nimmt, ist wahrlich beeindruckend.


Erzählt werden die Geschichten von drei Übersiedlern aus der ehemaligen DDR, die sich - voller Hoffnung aufgebrochen - plötzlich in einem Notaufnahmelager wiederfinden: Nelly Senff mit ihren beiden Kindern, die ihren Mann verloren hat, Hans Pischke, ein freigekaufter Schauspieler und Krystyna aus Polen, die darauf hofft, dass ihrem krebskranken Bruder mit westlicher Medizin geholfen werden kann. Was sie alle im Lager erwartet, ist aber alles andere als das gelobte Land, das sie sich so sehnlichst erhofft hatten.


Diese Situation zu beschreiben ist der Autorin nun wirklich meisterlich gelungen. Sie versteht es vortrefflich durch Sinneseindrücke Stimmungen zu erzeugen: die Geräusche der Zimmernachbarn, beim Schlafen, beim Sex, beim Defäkieren, die Gerüche, die in den Zimmern hängen, die Ausdünstungen der Mitbewohner, die Essensgerüche. Die räumliche Enge, die die Lagersituation mit sich bringt, wird so fast körperlich spürbar.

Genauso sensibel und einfühlsam wird auch über Gefühlszustände der Protagonisten berichtet. Eine erdrückende wie erniedrigende Lebenssituation, zerplatzte Träume, Perspektivlosigkeit und schnell einsetzende Resignation sind Themen, die immer und überall mitschwingen. Die Handlung spielt fast ausschließlich innerhalb der Lagerumzäunung - trist und öde, kaum Abwechslung - auf Dauer sehr beklemmend! Dieses Gefühl beschleicht auch den Leser zusehends, die Autorin bietet dem Leser keine geistige Fluchtmöglichkeit.


Das Buch hat zweifelsohne aber auch Schwächen: die Handlung flaut nach dem Anfangskapitel - das sehr eindringlich die Ausreise-Prozedur von Nelly Senff thematisiert - merklich ab. Die Schicksale der Protagonisten kreuzen sich zwar ab und zu, bleiben aber einzeln dahintröpfelnde Handlungsstränge und ergeben leider kein schlüssiges Ganzes in dem auch die teils penetrante Symbolik des goldenen Westens störend wirkt.


Fazit: Mit ihrer emphatischen Schreibweise gelingt es Julia Franck - trotz "Rivers of Babylon" von Boney M. - ihre Leserinnen und Leser gut zu unterhalten. Leider fehlt dem ganzen etwas die Nachhaltigkeit!


Wolfgang Gonsch

3/4 Sterne
3/4 von 5

© 2004 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth