Mit der sich verschärfenden Irak-Krise in 2002 wurde deutlich, dass die vormals guten transatlantischen Beziehungen der Vergangenheit angehören. Wurde diese Partnerschaft zunächst nur auf eine ernste Probe gestellt, führte schließlich die strikte und absolute Weigerung Frankreichs und Deutschlands, den Irak-Kurs der amerikanischen Administration zumindest moralisch zu unterstützen, zu einer ernsten Missstimmung, ja zu einer Konfrontation zwischen den USA und dem "alten Europa".
Vor diesem Hintergrund hat kein Buch so gut in die Zeit gepasst wie das Buch Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung von Robert Kagan. Selten wurde von einem amerikanischen Autor Europa so passend dargestellt, so dass insbesondere der aus meiner Sicht treffende Blick auf Europa auch bei überzeugten Optimisten einer machtvollen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik angesichts der dargestellten tatsächlichen "Ohnmacht" ein mulmiges, zumindest ein nachdenkliches Gefühl auslösen wird.
Dabei ist die immer weiter auseinanderklaffende Einigkeit zwischen den USA und Europa nicht erst seit der interventionistischen Politik der Bush-Administration spürbar, sondern wie der Autor feststellt eine Folge der unterschiedlichen Bewertung der "Post-Cold-War-Ära". Europa strebt den Eintritt "... in eine in sich geschlossene Welt von Gesetzen und Regeln, transnationalen Verhandlungen und internationalen Kooperationen, ein posthistorisches Paradies von Frieden und relativem Wohlstand an, das der Verwirklichung von Kants "Ewigem Frieden" gleichkommt."
Amerika hingegen bleibt der Wirklichkeit verhaftet. Washington übt Macht aus in einer anarchischen Welt, in der auf das Völkerrecht und internationalen Regelungen kein Verlass ist und Freiheit wie Sicherheit nach wie vor von Besitz und Einsatz militärischer Macht abhängen. Nur so sei der "neuen Weltunordnung" zu begegnen (ein Begriff der in Umkehr aus einer irrtümlichen Feststellung von George Bush Senior geprägt wurde, der den 2. Golfkrieg mit der Proklamation einer "neuen Weltordnung", d.h. der Forderung einer weltweiten Durchsetzung der Demokratie als Herrschafts- und Lebensform, verband).
Besonders lesenwert macht dieses Buch die für uns Europäer teils brutale und damit umso schmerzhaftere Offenheit, mit der er uns die eigene Schwäche Seite für Seite vor Augen führt. So sieht er heute schon den Tag kommen, "... an dem die Amerikaner den Verlautbarungen der EU nicht mehr Beachtung schenken als den Erklärungen des Andenpaktes." Anstatt den Zusammenbruch der Sowjetunion dafür zu nutzen, sich neben wirtschaftlicher Stärke als zweite militärische und politische zu etablieren, bauten die Europäer darauf, Krisen mittels Konzessionen und Kommissionen, durch Gespräche und Integration zu lösen. Wohin diese Politik führen kann hat uns letztendlich der Balkan-Konflikt deutlich vor Augen geführt. So wächst in den USA nicht erst seit der Vorgehensweise bezüglich des Iraks der Missmut über europäische Schönfärberei, die sich, wie Jaques Schuster in "Die Welt" schrieb "moralische Exaltiertheit nur leisten können, weil sie unter amerikanischem Schutz stünden und nichts mehr für die Verteidigung täten."
Die einzige Lösungsmöglichkeit der Überwindung des transatlantischen Konfliktes sieht der Autor in einem Ausbau der militärischen Fähigkeiten der EU, auch wenn er einräumt, dass er dies unter der derzeitigen Haushaltssituation in vielen europäischen Ländern als unwahrscheinlich ansieht. Europa müsse sich der Wirklichkeit gemäß an eine Doppelmoral gewöhnen, im Inneren auf der Basis von Gesetzen und gemeinsamer Sicherheit zu handeln, im Äußeren aber auf raue Methoden früherer Epochen zurückgreifen. Ansonsten bleibt den USA nur der Weg, auch weiterhin unilateral zu handeln.
Einziger Kritikpunkt dieses 121 Seiten kurzen Buches bleibt der bisweilen allzu wohlwollende Blick auf die amerikanische Sichtweise zum Krieg als Mittel der Politik und seiner unilateralen Handlungsweise in der internationalen Politik (siehe Ablehnung des Klimaschutzabkommens (Kyoto-Protokolls), der Ablehnung eines Weltstrafgerichtshofes, der Umgang mit den Vereinten Nationen etc.).
Fazit: Insgesamt ein gut zu lesendes Essay, was aufgrund seiner Kürze in komprimierter Form auch für den Leser mit wenig Zeit alle wesentlichen aktuellen und historischen Aspekte der Dissonanzen zwischen den USA und Europa zusammenfasst.
Andreas Pickel
© 2003 Andreas Pickel, Harald Kloth