Gioconda Belli (geboren 1948 in Managua), meistgelesene und literarisch über Jahrzehnte hinweg profilierte Schriftstellerin Nicaraguas ist eine kämpferische und politisch engagierte Frau. Sie schloss sich dem Widerstand der Sandinistischen Befreiungsfront gegen das Samoza-Regime an und musste 1975 ins Exil gehen. Sie kehrte 1978 nach Nicaragua zurück und kämpft mit ihren Schriftstellerkollegen Ernesto Cardenal und Sergio Ramirez gegen Unterdrückung und Armut.
Belli erregte vor allem mit Ihren erotischen Gedichtsammlungen Aufsehen. Sie propagiert aber in allen Ihren Werken ein gestärktes Selbstbewusstsein der Frauen, die sich gegen die männliche (gerade in Lateinamerika herrscht der Machismo) und die politische Unterdrückung wehren sollen.
Wie schon in den Vorgängerwerken wie zum Beispiel Bewohnte Frau hat in diesem neuen Roman die weibliche Hauptfigur die Schlüsselrolle der emanzipierten, leidenschaftlichen Frau, die sich ihre Meinung nicht verbieten lassen will.
In Das Manuskript der Verführung verwebt Belli die historischen Ereignisse um das tragische Leben der spanischen Königin Johanna von Kastilien (1479 bis 1555) mit einer fiktiven Begebenheit um die 17jährige Klosterschülerin Lucia im Madrid der 1960er Jahre.
Der Madrider Universitätsdozent Manuel Sandoval y Rojas, Historiker, stellt akribische Nachforschungen an über Königin Johanna, die aufgrund ihrer besessenen Liebe und Eifersucht zu „Philipp, dem Schönen“, verrückt geworden ist und auch „Johanna, die Wahnsinnige“ genannt wurde. Johanna wurde zur Ehe mit Philipp II. aus dem Hause Habsburg gezwungen, den sie jedoch leidenschaftlich liebte. Sie wurde ihrer Kinder und Rechte beraubt und von Philipp immer wieder betrogen. Johanna raste vor Eifersucht und Weigerung, sich zu fügen und wurde bis an ihr Lebensende in einem Kloster nahe Valladolid eingesperrt.
Manuel lernt nun die wesentlich jüngere Lateinamerikanerin Lucia kennen und sieht ihre äußere Ähnlichkeit mit Johanna. Er bietet ihr an, ihr die geschichtlichen Zusammenhänge und Fakten um Johanna und Philipp detailliert zu erzählen. Die einsame und schwärmerische Lucia lässt sich danach von Manuel dazu verleiten, in die Rolle der historischen Figur zu schlüpfen, in Kleidern im damaligen Stil. Sie soll sich auch in die Gedankenwelt Johannas hineinversetzen. Er erhofft sich so einen Einblick in das Gefühlsleben von Johanna, der ihm bisher verschlossen blieb.
In heimlichen Treffen in seiner Wohnung erzählt er Lucia Abschnitte aus Johannas Leben und es gelingt auch, das Mädchen in die Persönlichkeit Johannas und in das 15. Jahrhundert eintauchen zu lassen. Als die Erzählung bei der stürmischen und hocherotischen Begegnung von Johanna mit Ihrem späteren Ehemann ankommt, verschwimmen für Manuel und Lucia die Grenzen zwischen Realität und Geschichte. Die beiden werden ein Liebespaar und Lucia sammelt ihre ersten erotischen Erfahrungen. Die Grenzen zwischen Realem und Surrealem verschwimmen immer mehr, die beiden können im Gefühlstaumel nicht mehr abgrenzen, welche Gefühle ihnen gehören und welche zu den historischen Personen. Zuletzt ist Lucia schwanger und die Geschichte schlittert einer tragischen finalen Katastrophe zu.
Fazit: Gioconda Belli hat einen großartigen, gut recherchierten Roman um zwei beeindruckende Frauen geschrieben, bei dem sie sehr geschickt zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin- und herspringt und auch die Perspektiven wechselt. Einzig der dramatische Show-down erscheint etwas eigenartig und unpassend.
Tanja Lentner
© 2008 Tanja Lentner, Harald Kloth