Anfang Januar, im finalen Jahr des letzten Jahrtausends begleitete Karl Friedrich Waechter seine Frau zu einem Kongress nach Venedig. Hier fand er die Zeit, sich dem ihm unbekannten Ort in der Lagune zu überlassen, spazieren zu gehen, an reizvollen Stellen zu verweilen oder sich in die Wärme und Behaglichkeit eines Cafés zurück zu ziehen.
Und wie immer auf seinen Reisen hatte er seine wichtigsten Utensilien dabei: Eine kleine Dose mit Wasser, Pinsel und Stifte, einen kleinen Aquarellkasten und – ein leeres Büchlein! Von diesen leeren Seiten schien für ihn eine besondere Faszination auszugehen, diese schienen unbedingt von ihm gefüllt werden zu wollen. Für war es so etwas wie eine Aufforderung – für uns ist es ganz einfach ein Glücksfall!
Mit den Augen, dem suchenden Blick konnte er sich das Fremde aneignen und mit einfachen Federstrichen auf dem Papier festhalten: kleine beiläufige Szenen voller Melancholie, die morbide Pracht der Paläste und Kirchen, die vielen kleinen, versteckten und verträumten Campi, das spiegelnde dunkle Wasser der Kanäle und vor allem die winterlich, karge Stimmung, von der der normale sommerliche Tourist nur selten etwas mitbekommt. All diese vor Leichtigkeit, Melancholie, Spontanität, Harmonie und kontinuierlichem Verfall sprühenden Eindrücke, Stimmungen und Gefühle beeilte er sich in der venezianisch-feuchten Winterkälte zu Papier zu bringen. Deshalb ist der Stil dieser Zeichnungen auch sehr uneinheitlich: er schwankt zwischen Skizze, Ex- und Impressionismus und ganz flüchtig hingeworfenem - und genau das macht eben auch den besonderen Reiz dieses ausdruckskräftigen und phantasieanregenden Gedächtnisprotokolls aus!
Bild und knapp gehaltenen Begleittext verbindet dieses Skizzenbuch auf wunderbare Weise, doch sprechen die Zeichnungen von Karl Friedrich Waechter eine ganz eigene Sprache, die uns nur der geniale, leider bereits von uns gegangene Künstler näher zu bringen vermochte. So suchen wir vergebens nach Bildern, wie sie entlang der ausgetretenen Touristenpfade zwischen San Marco und Rialto, dem Canale Grande oder auf dem Lido entstehen.
Fazit: F. K. Waechter ging seine eigenen Wege und sah Dinge anders – in der Kunst und auch in Venedig!
Wolfgang Gonsch
© 2011 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth