Seit dem Ansteigen terroristisch motivierter Gewaltaktionen Ende der 90er Jahre, jedoch spätestens seit dem 11. September 2001 werden wir von einer wahren Flut an Büchern überschwemmt, die sich mehr oder weniger fachlich fundiert mit dem Phänomen "Terrorismus" auseinander setzen. Dabei reicht die Bandbreite von rein definitorischen Erklärungsmustern wie in dem bereits 1998 erschienene Buch "Terrorismus" von Peter Waldmann bis hin zu eher emotional-moralischen Abhandlungen wie zum Beispiel in dem sehr lesenswerten Buch von Jürgen Todenhöfer Wer weint schon um Abdul und Tanaya - Die Irrtümer des Kreuzzeugs gegen den Terror.
Einen völlig neuen und damit umso beachtenswerteren Weg geht der Völkermordforscher Gunnar Heinsohn in seinem Buch: Söhne und Weltmacht - Terror im Aufstieg und Fall der Nationen.
Der immer größer werdende "Überschuss" an in der Gesellschaft in der Perspektivlosigkeit lebenden gewaltbereiten 15 bis 25-Jährigen in der islamischen Welt - auch und insbesondere der höheren Gesellschaftsschichten - zeigt sich signifikant am Anstieg von Anschlägen mit terroristischem Hintergrund, so die Grundaussage seines Buches. Er sieht also die Begründung für das sinnlose Morden durch terroristische Anschlägen und Selbstmordattentaten aber auch für Umsturzversuche und Demonstrationsbewegungen gegen politisch labile Regime überwiegend nicht religiös ideologisch begründet, sondern schlicht und ergreifend in dem demografischen Phänomen des "youth bulge" - der überproportionalen Ausstülpung in der Alterspyramide bestimmter Gesellschaften. Ausgangspunkt seiner Thesen ist dabei das Studium der Biografien von Attentätern, die eben nicht wie zu erwarten wäre in den Armenvierteln ihrer Großstädte aufwuchsen, sondern stattdessen die Erziehung und Vorzüge der Upperclass genossen. "Nicht Untergewichtige sondern potenzielle Verlierer oder Deklassierte drängen nach vorne" (Seite 21), so seine Argumentation. Dabei provoziert Heinsohn allein schon durch die martialisch klingenden Überschriften wie "Die Gebärmütter der Frauen entscheiden über den Krieg", "Überschüssige Söhne werden zu Massenheeren geformt" oder aber auch "Deutschland wird den Juden niemals verzeihen".
Den Hauptgrund für den wachsenden Widerstand in diesen Altersgruppen gegen bestehende staatliche Strukturen und Organisationen sieht er also nicht wie zu erwarten wäre im Kampf um lebensnotwendige Ressourcen, sondern im Kampf um Aufstiegsmöglichkeiten, Einfluss und letztendlich Macht (er spricht von der "Illusion von der Hungerbekämpfung als Friedenstifter"). Versuchen noch viele eine Berufs- und Lebenszufriedenheit durch die Möglichkeit der Emigration zu erreichen, suchen andere nur die Flucht in scheinbar befriedigende Jobs. Die Hauptgefährdung sieht Heinsohn insbesondere durch Jugendliche, die weder den einen noch den anderen Weg wählen und so ein großes Potential für Gewaltbereitschaft darstellen.
Die Übertragung dieses Gefährdungspotentials in die westliche Welt sieht er dann gegeben, wenn diese "wohlgenährte Revolutionäre" (Seite 18) auch nach der Emigration an Grenzen und Beschränkungen in einem nun anderen Kulturkreis stoßen, den als notwendig erachteten Status zu erreichen. Was nützt die beste Ausbildung und das beste Studium, wenn es an adäquaten Arbeitplätzen fehlt und man nur Diskriminierung, Ausbeutung und Missbrauch ausgeliefert ist.
Dabei dient im das Phänomen des "youth bulge" auch als Erklärungsmuster für eine Vielzahl von Bürgerkriegen und Aufständen im Verlauf der Geschichte sowie der Eroberungszüge und dem Kampf um Kolonien europäischer Staaten seit der Entdeckung Amerikas.
Die Frage sei jedoch erlaubt, ob man aus der Beschreibung dieses Phänomens an unterschiedlichen Beobachtungspunkten und -zeiträumen gleich auf eine grundlegende Theorie und damit auf eine Konstante in der Geschichte schließen kann. Der Versuch also, die oft irrational verlaufende Geschichte mit rationalen Faktoren zu erklären erscheint mehr als fragwürdig.
Fazit: Insgesamt jedoch ein absolut lesenswertes Buch, insbesondere für diejenigen, die zum Terrorismus nicht ständig mit den gleichen Interpretationsplatituden gelangweilt werden wollen.
Andreas Pickel
© 2004 Andreas Pickel, Harald Kloth