Gerhard Ringshausen

Hans-Alexander von Voß

Generalstabsoffizier im Widerstand

1907 bis 1944

60 Jahre nach den Ereignissen des Attentats vom 20. Juli 1944 erschien eine Vielzahl von Literatur zum Deutschen Widerstand. Während jedoch meist die Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ und im Rahmen des militärischen Widerstandes die Hauptakteure um Stauffenberg im Mittelpunkt standen, wurde die Denkweise und Motivation der Männer im Hintergrund bis dato wenig untersucht und publiziert.

 

Hans-Alexander von Voß entstammte einer im preußischen Militarismus tief verwurzelten Familie (auch sein Vater war ein bereits im Ersten und auch im Zweiten Weltkrieg hoch dekorierter Offizier), so dass sein beruflicher Werdegang eigentlich schon früh feststand. Auch wenn er eigentlich Forstmann werden wollte, wurde er auf Wunsch seines Vaters Infanterieoffizier. Seine zweite familiäre Orientierung, vor allem tief geprägt durch die Mutter, lag in einer tiefen Religiosität. Sein Glaube, so der Autor, war bestimmt durch eine persönliche innige Frömmigkeit mit einer spezifisch preußischen Prägung.

 

Schon bevor er sich entschloss, wie sein Vater die Offizierlaufbahn einzuschlagen, war er bereits auch politisch im „Jungnationalen Bund“ aktiv und verstand sich so immer als politisch mitdenkender Soldat - eine Tugend, die von heutigen Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ im Rahmen der „Inneren Führung“ erwartet wird und als selbstverständlich gilt. Früh schon interessierte er sich für Clauswitz, der ihm vor allem hinsichtlich seiner Fähigkeit zur Menschenführung, dem Respekt vor geistigen Werten und seinem Berufsethos ein Vorbild war.

 

Bereits zu Beginn seiner militärischen Laufbahn beim Infanterieregiment 9 schloss er Kontakte zu Personen, die auch später eine Schlüsselrolle im militärischen Widerstand spielten. Ebenso sein Schwiegervater, General a. D. Joachim von Stülpnagel, eröffnete ihm schon frühzeitig Kontakt zu den Köpfen des Widerstandes, Generaloberst Beck und Ulrich von Hassel. Auch wenn er zunächst wie fast alle Offiziere im Hochgefühl des durch Hitler wiedererweckten Selbstwertgefühls der Wehrmacht den Krieg gegen Polen aktiv unterstützte, war von Voß, im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Kameraden, schon frühzeitig sehr reserviert gegenüber den Expansionsplänen des Führers. Bereits 1934 im Zuge des „Röhm-Putsches“ hatte er so seine Zweifel an den verbrecherischen Methoden des Regimes. Spätestens die Operation „Gelb“, also der „Blitzkrieg“ gegen Frankreich stieß bei ihm auf Bedenken, die Operation „Seelöwe“ gegen England auf völliges Unverständnis. Er begriff den Krieg als einen Feldzug und nicht als einen auf Völkermord ausgerichteten Eroberungskrieg. Die Bindung an Jesus Christus sowie Gottes erhaltende Gnade gaben den letzten Antrieb, das verbrecherische System aktiv zu bekämpfen.

 

Spätestens Anfang 1941 ging von Voß, zu dieser Zeit im Stab von Witzleben tätig, in den aktiven Widerstand gegen Hitler über. Besonders kritisch äußerte er sich über gleich- oder höherangige Kameraden, die nur der Beförderung und schnellen Karriere wegen meist ohne Hinterfragen der Sinn- und Zweckmäßigkeit von Befehlen handelten und nicht wie er der Sache wegen. Immer wieder, so Ringshausen, soll er sich über die Veränderungen des Geistes der Armee geärgert haben. Von Voß machte sein Verhalten im opportunistischen Sinne nicht wechselhaft abhängig von militärischen Siegen und Niederlagen, sondern einzig und allein von seinem persönlichen Empfinden und seinen Erfahrungen mit der grausamen Umsetzung der wahnwitzigen Ideologie Hitlers.

 

Immer wieder versuchten die Widerständler einen Generalfeldmarschall vom Schlage von Mansteins, Kluge, von Rundstedt oder von Bock eine aktive Mitarbeit abzuringen – vergeblich, deren Hörigkeit zu ihrem Führer war größer. Mitte 1943 wurde von Voß, wenn auch abseits der Front, in verschiedenen Verwendungen in der Heeresgruppe Mitte im Osten eingesetzt, wo sich der Widerstand weiter formierte. Geplante Attentate auf den Führer schlugen aber entweder fehl oder wurden im letzten Moment abgebrochen. Schließlich verlagerte sich das Zentrum des Widerstandes nach Berlin. Die weiteren Vorgänge um den 20. Juli sind hinreichend bekannt.

 

Nach dem 20. Juli 1944 geriet von Voß trotz enger Verbindung zu Henning von Tresckow nicht in den Verdacht der Mittäterschaft, während die Gestapo seinen Schwiegervater in Haft nahm. Allerdings hatte er aus ständiger Angst vor Verhaftung keine ruhige Nacht mehr. Auch machte er sich ständig Vorwürfe, ob er nicht doch noch aktiver im Widerstand mitarbeiten hätte sollen, um das Attentat erfolgreich durchzuführen. Sein militärischer Ehrgeiz war endgültig erlöscht. Wegen der Verhaftungen und Hinrichtungen seiner Freunde durch und durch verzweifelt, erschoss sich Voß am 8. November 1944 im Garten des Heinersdorfer Schlosses, nachdem er dort zuvor noch „scheinbar vergnügt“ - wie Fotos zeigen - mit seinen drei kleinen Kindern gespielt hatte. Da er sich aber offiziell aufgrund der Fronterbelastungen das Leben nahm, wurde er mit militärischen Ehren beigesetzt.

 

Basierend auf insbesondere aus dem Jahre 1944 umfangreich vorhandenen Briefen von von Voß an seine Ehefrau Gisela, beschreibt Ringshausen feinfühlig aber auch mitfühlend dessen Lebensweg nach. Aufgrund der Zensur konnte er oftmals nicht offen schreiben, so dass selbst seine Frau seine genaue Rolle im Widerstand erst nach dem Krieg erfahren hat. In eindrucksvoller Art und Weise gelingt es dem Autor, die inneren Seelenkämpfe ausgelöst durch den Konflikt zwischen der von ihm erwarteten Unterstützung der Expansionspolitik seines Führers, auf den er als preußischer Offizier seinen Eid abgelegt hat und den Anblick der vor allem an der jüdischen Bevölkerung begangenen Genozid, oftmals aktiv unterstützt durch eigene Kameraden der Wehrmacht, darzustellen.

 

Umfangreiche Zitate und Bilder runden die Darstellung ab. Darüber hinaus liefert das Buch ein anschauliches Bild über die Lebensumstände eines Stabsoffiziers, einerseits das Bestmögliche für die Männer an der Front zu erreichen andererseits immer wieder die Gedanken abschweifend bei der durch alliierte Bombenagriffe bedrohten Familie. Die Wiedergabe der persönlichen Empfindungen aus den Briefen an seine Frau ist jederzeit ehrlich und aufrichtig und grenzt sich somit von Autobiografien vieler Wehrmachtsgenerale ab, die in ihren Büchern die Realität bewusst verkannten, um eigenes Handeln zu rechtfertigen oder in das richtige Licht zu rücken. Dafür gebührt dem Autor Dank.

 

Hans-Alexander von Voß war ein Widerstandskämpfer, der sich - und das soll an dieser Stelle nochmals verdeutlicht werden - nicht wegen einzelner militärischer Katastrophen wie in Stalingrad oder aufkommenden Zweifeln am Endsieg dem Widerstand anschloss, sondern der schon wesentlich früher das verbrecherische Handeln im Krieg und vor allem die Zerstörung des preußischen Militärethos durch das nationalsozialistischen Regimes verurteilte. Die Frage, was passiert wäre, wenn die Widerständler einige der Hitler willfährigen Feldmarschälle für ihre Sache hätten gewinnen können, bleibt offen und ist in der Literatur weiter heftig umstritten.

 

Fazit: Eine eindrucksvolle Biografie über den Widerstandskämpfer Hans-Alexander von Voß.

 

Andreas Pickel

4 Sterne
4 von 5

© 2008 Andreas Pickel, Harald Kloth