Das Wikipedia Lexikon

in einem Band

Die meistgesuchtesten Inhalte der freien Enzyklopädie

Gütersloh ; München ; Wissen-Media-Verlag ; 2008 ; 992 Seiten ; ISBN 978-3-577-09102-2

 

Vorweg - der Autor dieser Rezension ist seit 2001 begeisterter Wikipedia-Autor und hält die Online-Enzyklopädie für eine der wichtigsten - weil informativsten - Websites überhaupt. Er konnte die aufstrebende Entwicklung dieses freien und für alle Menschen offenen Projektes mitverfolgen und schätzt dieses Online-Portal in höchstem Maße. Es geht in dieser Kritik deshalb auch nicht um die ehrenwerten Ziele der Wikipedia, sondern ausschließlich um die Alltagstauglichkeit des gedruckten Einbänders.

 

Interessant ist der Versuch allemal, eine Art Jahrbuch zu schaffen mit den meistgesuchten Inhalten der Online-Enzyklopädie in gedruckter Form. 50.000 Stichwörter, 1.000 Abbildungen und alle wichtigen Eckdaten zu den Ländern der Welt verspricht der Werbetext am Buchrücken. Können die Inhalte der Wikipedia auch auf 992 gedruckten Seiten überzeugen? Der Buchtitel Das Wikipedia Lexikon in einem Band verspricht ein Nachschlagewerk. Welchen Sinn und Zweck sollte ein Lexikon erfüllen können? Gibt es in unserer modernen Multimedia-Welt dazu überhaupt noch Bedarf?

 

Ja - denn die orwellsche Vision von totaler Rund-um-die-Uhr-Vernetzung von Fernseher und Computer ist (gottseidank) noch nicht bundesdeutsche Realität geworden. Es geht also um ein „schnelles Nachschlagen“ von Begriffen, die in Schule, Beruf oder Unterhaltung auftauchen. Der Griff zum Buchregal ist zur Wortdefinition meist unkomplizierter (notfalls sogar bei Kerzenlicht) als das online Nachschlagen.

 

Das Ergebnis im vorliegenden Werk indes enttäuscht leider. Und mit jedem nachgeschlagenen Begriff, den man wiederum nicht findet, wird diese Enttäuschung noch größer.

 

Folgende Beispiele wurden nicht „künstlich“ gesucht, sondern tauchten zufällig im Alltag auf: Die Suche nach "Adebar" bringt kein Ergebnis. Der Autor weiß aber das Fabelwesen als "Storch" zu deuten und sieht dort nach. Ebenso Fehlanzeige. Suche nach "Matrone", leider kein Ergebnis. Auch die Suche nach "Hantavirus" bleibt ohne Ergebnis. Hier bleibt also nur der Zugriff auf die Online-Version.

 

Sieht man sich an wie die Einträge zustande gekommen sind, wird schnell deutlich, woher dieses Problem rührt. Verwendet wurden die meistgefragtesten Begriffe der Online-Enzyklopädie. Im Vorwort heißt es dazu, daß gerade nicht der „tradierte Bildungskanon“ eingebracht werden sollte. Und so finden sich eben Begriffe aus Film, Funk und Fernsehen, die in einigen Jahren - außer in Speziallexikas - keine große Bedeutung mehr haben dürften. Doch wer will sich schon jedes Jahr ein neues Lexikon kaufen? Ein solches Nachschlagewerk sollte sinnvollerweise langjährigen Bestand und Relevanz besitzen.

 

Manchmal fällt außerdem eine unangenehme Gewichtung von Kriegs- und Waffenbegriffen auf. Vielleicht eine Folge der starken Mitarbeit von Menschen dieser Hobbys in der Wikipedia? Wenn dies allerdings wie beim Begriff "Operation Market-Garden" zu einer unbrauchbaren (weil viel zu kleinen) Karte führt, bedeutet dies für ein gedrucktes Lexikon einfach nur sinnlose Platzverschwendung. Schade drum.

 

Thema Gewichtung: Der Begriff "Neuschwabenland" (ein antarktisches Territorium) hat eine Länge von 15 Zeilen. Das flächengrößte deutsche Bundesland "Bayern" kommt aber nur auf 13 Zeilen! Von der Abbildung der Landesflagge und/oder -wappen ganz zu schweigen. Rutscht man nur wenige Begriffe weiter erhält man für eine Panzerabwehrwaffe immerhin 18 Zeilen - genausoviel wie für eine Sexualpraktik nur wenige Wörter weiter. Immerhin schafft es das bevölkerungsreichste Bundesland "Nordrhein-Westfalen" auf ganze 14 Zeilen.

 

Viele der Bilder sind sowieso ein großer Schwachpunkt dieses Werkes. Wieso sich zwei Kirschlikörpralinen "Mon Chéri" abgebildet finden, bleibt ebenso unverständlich wie das Bild "Schokoladenstückchen" oder "Leberkäse". Bilder von "Mond" oder "Mondlandung" sucht man jedoch ebenso vergebens wie etwa die "Golden Gate Bridge". Demgegenüber sind "Tennisbälle" ebenso abgebildet wie eine "Godzilla-Statue" in Tokio. Ein ärgerliches „Highlight“ stellte für den Rezensenten sicherlich das Bild "Hausstaub auf einer Tastatur" dar. Hier fehlt jegliche Gewichtung und lexikalische Relevanz!

 

Bei der Benutzung ist zu beachten, daß Umlaute wie beispielsweise ö nicht wie oe sondern als o eingeordnet sind. "Österreich" kommt also nach "Ostern" und nicht etwa nach "OECD".

 

Merkwürdigerweise ordnet "Newman, Paul" direkt nach "New Kids on the Block" - die Musikband wird also wie ein Wort gelesen. Deshalb ordnet "San Francisco" auch gleich nach dem Namen "Sandra".

 

Fazit: Dieses Lexikon ist leider eine große Enttäuschung und erfüllt die Erwartungen des Titels nicht. Es sollte besser Wikipedia-Jahrbuch 2008 heißen. Denn ein gutes Lexikon muß zeitloser sein, begrifflich mehr leisten können und mit viel mehr brauchbaren erläuternden Grafiken aufwarten. Auch eine beiligende DVD mit Multimediadateien wäre sehr sinnvoll - und ist natürlich nicht vorhanden. Die Online-Ausgabe bietet dies alles übrigens in hervorragender Weise und ist zudem außergewöhnlich aktuell. Aber auch im Bereich der gedruckten Lexikas gibt es sinnvollere Alternativen.

 

Harald Kloth

2 Sterne
2 von 5

© 2008 Harald Kloth