Bericht über meinen Vater
Wien ; Paul Zsolnay ; 2004 ; 254 Seiten ; ISBN 3-552-05318-2
Nach dem Lesen des unter die Haut gehenden Werkes von Andrej Angrick Besatzungspolitik und Massenmord, stellte sich mir immer wieder die Frage, was eigentlich normal gebildete Menschen dazu gebracht hatte, willkürlich wehrlose Frauen und Kinder zu ermorden und aus welchen gesellschaftlichen Umfeld sie kommen. Auch wenn bereits Angrick selbst in einem Kapitel Täterprofile beschreibt, das neue Buch von Martin Pollack liefert dazu weitere Aufklärung - auch wenn sie sich auf das nationalsozialistische Führungspersonal beschränkt.
Martin Pollack erblickte 1944 als Sohn von Gerhard Bast und Hildegard Pollack das Licht der Welt. Seine Mutter damals noch verheiratet mit dem Linzer Kunstmaler Johann Pollack ehelichte ein Jahr darauf seinen leiblichen Vater. Nach dessen Tod am Brenner auf der Flucht nach Italien 1947 heiratete sie abermals ihren ersten Gatten. Moment - auf der Flucht erschossen, noch dazu mit einem Ausweis, der auf einem falschen Namen lautet?
50 Jahre später begibt sich Martin Pollack auf die Spurensuche, zunächst nach den Umständen des Todes seines Vaters, aber vor allem nach dessen Leben und Wirken - grausamen Wirken. Lange von seiner Familie durch einen Mantel des Schweigens über dessen Nazi-Vergangenheit im Dunkeln gelassen, deckt er nach und nach den grausamen Lebensweg seines Vaters auf, beginnend bei dessen Eintritt in die SS 1932 bis zum SS Sturmbannführer und Regierungsrat, Chef der Linzer Gestapo.
Alles beginnt in der im untersteirischen Tüffer, dem heutigen Slowenien, einem heiß umkämpften Grenzgebiet zwischen deutscher und slawischer Kultur, einem Nährboden für Rechtsradikalismus. Student der Rechtswissenschaften, trat Bast 1931 wie sein Vater in die NSDAP ein, ein Jahr später in die SS. 1938 wurde er in den Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) aufgenommen, und war nun tief in die mörderischen Tätigkeiten des verbrecherischen Regimes involviert: Erstellen von Verhaftungslisten, Durchführen von Verhören und ab 1941 als stellvertretender Gestapoleiter auch Verantwortlicher für Judendeportationen. Ende 1942 begann dann als Führer des Sonderkommandos 11a der Einsatzgruppe D im Kaukasus das grausamste Kapitel des "Toten im Bunker", erschütternd beschrieben in dem oben aufgeführten Buch von Angrick.
Seine "Karriere" fand schließlich ein jähes Ende, als er im November 1943 bei einem Jagdunfall einen Treiberjungen tötete - aus Sicht der selbsternannten Eliteorganisation ein Versagen, welches nicht zu tolerieren war. Statt Haftstrafe ein erneuter Osteinsatz als Führer eines Sonderkommandos - Liquidationen in Polen und in der Slowakei durchführend. Nach Kriegsende irrt Pollack zunächst planlos umher, ständig auf der Flucht vor den Alliierten. Schließlich wird er durch einen Menschenschmuggler am Brenner umgebracht und in einem Bunker versteckt.
Pollacks Recherchen führen ihn von Österreich nach Slowenien, in die Slowakei den Kaukasus und nach Polen, tief hinein in die politischen Strukturen des NS-Staates. Auch stellt das Buch nicht wie so oft, wenn Söhne über ihre Väter schreiben eine Abrechnung, einen Befreiungsschlag dar, hat Pollack doch keine Erinnerung an seinen Vater und kann so völlig unvoreingenommen (sofern man das als Sohn eines Nazi-Verbrechers kann) recherchieren. Trotzdem ist das Buch emotionsgeladen, spürt man doch in jeder Zeile Enttäuschung und Wut über das Wirken des Vaters. Letztendlich ist die Enthüllung des Lebens von Pollack´s Vater prototypisch, übertragbar auf zehntausende fanatische Deutschnationale, die zum gewissenlose Täter im verbrecherischen NS-Staat wurden.
Fazit: Insgesamt ein absolut lesenwertes Buch, vor allem, da es sich nicht auf die Biografie des Dr. Gerhard Bast beschränkt, sondern ebenso eindrucksvoll die
Lebensumstände Ende des 19. und Anfang des 20 Jahrhunderts sowie die Gründe für den aufkommenden Nationalismus nachhaltig beschreibt.
Andreas Pickel