Olaf Kühl: Der wahre Sohn

Roman

Berlin ; Rowohlt ; 2013 ; 480 Seiten ; ISBN 3-87134-726-4

 

Ein Name der elektrisiert: Mercedes 500 SE. Ein tolles Auto, ausgereifte Technik, alles passt, nicht wackelt. Als Konrad Krynitzki zu Studentenzeiten noch in der autonomen Szene unterwegs war, zerkratzte er schon mal den Lack solcher Bonzen-Autos mit dem Schlüssel. Seit dem Mauerfall werden solche Autos im großen Stil in den Osten verschoben und jetzt fahndet er im Auftrag großer Versicherungsgesellschaften nach ihnen. Im aktuellen Fall führt in die Spur nach Kiew.

 

Im Gegensatz zur gesuchten Luxuslimousine scheppert und klappert es im Plot aber leider überall, die Schrauben des Geschehens scheinen nur locker angezogen zu sein, die ganze Handlung läuft nicht rund. Es erscheint zwar kalkuliert, dass der Autor die Erwartungen an einen Krimi unterlaufen zu wollen, aber dieses ständige in Sackgassen lotsen zeugt eher von Orientierungslosigkeit. Der Protagonist wird augenscheinlich von ganz anderen Motiven getrieben, als gestohlene Autos wieder zu beschaffen, denn kaum in Kiew angekommen verhält er sich dermaßen unprofessionell, dass es schon fast weh tut. Er klingelt bei der vorgeblichen Witwe des Mannes, auf dessen Namen der Wagen angemeldet ist und warnt so mögliche Hintermänner. Dass der Halter, zu Sowjetzeiten ein ranghoher Offizier, bereits tot sein soll, bestärkt ihn in der Vermutung, dieser könnte nur als Strohmann gedient haben. Ist er wirklich tot? Wenn ja, war es die Mafia? Oder wurde er in der geschlossene Psychiatrie weggesperrt?

 

Je weiter sich Krynitzki bei seinen Recherchen vom Ziel entfernt, desto tiefer verstrickt er sich plötzlich in die traumatische Geschichte der Familie. Schließlich ermittelt er mehr und mehr in eigener Sache, sucht nach seiner eigenen Herkunft. Der Onkel, ein fanatischer Nazi, sein Vater während des Krieges in Russland. Seine Mutter blieb im Westen, als der Vater mit Konrad noch vor dem Mauerbau nach Ost-Berlin zog und ein Verhältnis mit dem Nazi-Onkel hatte.

 

Olaf Kühl setzt hier beim Leser die wildesten Spekulationen in Gang, endlich muss man hinzufügen! Ist er etwa „der wahre Sohn“ und die alte Frau aus Kiew die sich mit den Besatzern einließ, seine leibliche Mutter? Der Roman spielt Anfang der Neunziger, der Protagonist ist Ende dreißig, passt also schon zeitlich nicht. Oder sind es schlicht Wahnvorstellungen der Hauptfigur? Und genau hier gibt der Autor dem Ganzen dann eine dermaßen unspektakuläre Wendung, dass der Roman nun vollends in die quälende Langeweile abgeleitet. In endlosen Vier-Augen-Gesprächen mit der Witwe wird das schmerzliche aber keineswegs mysteriöse Familiendrama aufgerollt und immer wieder abgespult. Protokolle ewig zurückliegender Therapiesitzungen, Tschernobyl oder Babij Jar tauchen als mögliche und interessante Motive auf, spielen aber für den dürftigen Fortgang keine Rolle.

 

Wer die Leserschaft auf 480 Seiten wirklich erreichen und mitnehmen will, muss einfach mehr überraschen, flüssiger Schreiben und authentischer Erzählen. Auch der mehrdeutige Schluss reißt das ganz nicht mehr heraus. Olaf Kühn verschenkt viel zu oft vorhandenes Potential und schafft es in diesem Roman nur ein einziges Mal so etwas Ähnliches wie Spannung zu erzeugen.

 

Fazit: Insgesamt ist dieser Roman eine seltsam anmutende Mischung aus Krimi und Familiensaga – leider entscheidet sich der Autor für keines von beiden.

 

Wolfgang Gonsch

2 Sterne
2 von 5

© 2013 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth

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